Vielfältig, differenziert, ausgefallen

Stellungnahme zur Entwicklung der Wirtschaftsberichterstattung 2017

Die Wirtschaft verändert sich. Die Arbeit verändert sich. Der Blick auf die Wirtschaft wird offener. Gründergeschichten haben Konjunktur. Gleichzeitig gewinnen Fragen der Unternehmenskultur, der Nachhaltigkeit und Gemeinwohlorientierung an Bedeutung. An Wirtschaftsthemen, die die Republik bewegen und das Land verändern, besteht 2017 kein Mangel. Die über tausend Beiträge, die zum Ernst-Schneider-Preis eingereicht wurden, zeigen die Vielfalt. Die Einreichungen thematisieren Automatisierung und Vernetzung, Dieselaffäre, Zukunft der Elektromobilität, Bedrohung durch Cyberangriffe, Boom der Biolebensmittel, Wandel der Energieerzeugung und Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt.

So vielfältig und differenziert die Wirtschaftsberichterstattung ist, so ungleich verteilt sie sich auf die Medien. Gut informiert ist, wer Zeitungen liest. Eher einseitig informiert ist, wer nur soziale Medien nutzt, deren Stärken Emotion und Gleichzeitigkeit sind; gemeinnützige, soziale und transnationale Bewegungen gebrauchen sie für wirkungsvolle Kampagnen. Und eher wenig über Wirtschaft informiert ist, wer überwiegend private Sender sieht und hört. Die Wirtschaftsberichterstattung ist schnell Verlierer, wenn aufwändige Recherchen anfallen oder Reichweiten entscheiden. Umso wichtiger, dass öffentlich-rechtliche Sender ihren Informationsauftrag erfüllen. Doch auch bei ihnen sind Wirtschaftsmagazine oft Verlierer in der senderinternen Abwägung zwischen Informationsauftrag und Wunsch nach Einschaltquote. Journalistinnen und Journalisten benannten in einer großen Online-Umfrage des Ernst-Schneider-Preis (230 Antworten) weitere Probleme: Wirtschaftliche Themen würden im Haus unterschätzt, die Redaktionen seien zu klein, die Sender stellten nicht ausreichend Sendefläche zur Verfügung. Wie attraktiv und anschaulich sich Wirtschaft vermitteln lässt, wenn gute Ideen umgesetzt werden, bewiesen die ARD mit ihrer Themenwoche „Zukunft der Arbeit“ und Vox mit der Gründershow „Höhle der Löwen“, die in der dritten Staffel Quotenrekorde aufstellte.

Mit dieser Stellungnahme, die Anregungen der Industrie- und Handelskammern aufgreift, wollen wir Entwicklungen benennen und Anstöße zur Verbesserung der Wirtschaftsberichterstattung geben. Die Studie stützt sich auf Umfragen, Medienbeobachtung und die Auswertung der Wirtschaftsbeiträge, die zum Ernst-Schneider-Preis 2017 eingereicht wurden. Die IHKs stiften diesen Preis seit 46 Jahren. Sie wollen, dass die Menschen wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen. Dieses Wissen ist für die Gesellschaft von Bedeutung. Es setzt verlässliche Informationen voraus.

Fernsehen

2017 hat die ARD das „Jahr der Information“ ausgerufen. Der Slogan „Das Erste – wenn es wichtig wird“ drückt den Anspruch aus. Diesem Ziel wird die ARD bei der wöchentlichen Wirtschaftssendung „Plusminus“ nicht immer gerecht. „Plusminus“ fällt im Jahr der Information so häufig aus, dass von Regelmäßigkeit nicht mehr gesprochen werden kann. Im ersten Halbjahr lief die Sendung in 26 Wochen nur 16 Mal, davon am 12. April erst kurz vor Mitternacht, mithin nur 15 Mal zum regulären Termin mittwochs um 21.45 Uhr. Die ARD ersetzte das Wirtschaftsmagazin durch Dokumentationen, die thematisch zum Fernsehfilm um 20.15 Uhr passten („Event“), sie zog die Talkshow „Maischberger“ vor und sie übertrug Fußballspiele, selbst wenn diese für den jeweiligen Wettbewerb wenig relevant waren und Spiele, die ohne deutsche Beteiligung stattfanden. Ähnlich wie bei den vielen Ausfällen des Europamagazins wegen Wintersportübertragungen (Stellungnahme 2016) schlägt die Erwartung höherer Einschaltquote die Vermittlung von Information.

Die „Ausfall-Bilanz“ von „Plusminus“ im ersten Halbjahr 2017 liest sich so: Am Mittwoch, 4.01.2017 entfiel die Sendung wegen eines „Feiertagsprogramms“, am 8.2. wegen DFB-Pokal Achtelfinale, am 22.2. wegen Eventprogrammierung „Katarina von Bora“, am 1.3. wegen DFB-Pokal Viertelfinale, am 22.3. wegen des Länderspiels Deutschland-England, am 5.4. wegen Eventprogrammierung „Gorch Fock“, am 26.4. wegen DFB-Pokal Halbfinale, am 17.5. wegen Eventprogrammierung „Gefährliche Medikamente“, am 21.6. wegen der Doku „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden“, am 28.6. kurzfristig wegen „Sportschau-Club“ nach dem Confed Cup-Spiel Portugal-Chile. Dieser Erosionsprozess von „Plusminus“ hat negative Folgen für das wirtschaftliche Wissen der Zuschauer. Er beschädigt die Marke „Plusminus“, senkt die Zuschauerbindung, erschwert die redaktionelle Planung und nimmt den Wirtschaftsautorinnen und -autoren Jobs. Ein möglicher statistischer Zugewinn an Einschaltquote wiegt diese Nachteile nicht auf.

In großen Abständen sendet die ARD monothematische Ausgaben „Plusminus extra“ und zeigt, wozu das Magazin in der Lage ist. Die viertelstündigen Beiträge, im März 2017 zu Schlecker (SWR), im Mai 2017 zur Deutschen Bank (HR), waren faktenreich und enthielten exklusive Interviews, die wirtschaftliche Zusammenhänge verdeutlichten.

Mit der auf allen Wellen ausgestrahlten Themenwoche „Zukunft der Arbeit“ stieß das Erste im November 2016 einen Diskurs über die Veränderungen der Arbeitswelt durch die Digitalisierung an. Das von HR, RB und SR vorbereitete Programm bot allen Zuschauergruppen einen umfassenden, journalistisch oft großartig gemachten Einblick in wirtschaftliche Prozesse. Da die ARD ihr Korrespondentennetz nutzte, erfuhren die Zuschauer auch wie unterschiedlich Zukunftsvorstellungen rund um den Globus sind. Mehrere Beiträge wie „Faktor Menschlichkeit – Was macht Unternehmen erfolgreich?“ fielen in den Jurys des Ernst-Schneider-Preises positiv auf.

Die Juroren weisen regelmäßig auf den Aspekt der Glaubwürdigkeit der Medien in Zeiten von Fake News hin. Gerade die privilegierten öffentlichen-rechtlichen Medien müssten mehr denn je sicherstellen, dass die von ihnen verbreiteten Informationen umfassend, klar und richtig seien. Dies gelte besonders für wirtschaftliche Informationen, weil viele Menschen den raschen Veränderungen der Wirtschaft durch Digitalisierung und Globalisierung unvorbereitet und skeptisch gegenüber stehen. Sorgfalt und Kompetenz der Berichterstattung setze Fachredaktionen und Fachleute voraus – während der Trend vielfach zu journalistischen „Allroundern“ gehe, deren Kompetenz in der Vermittlung liege.

Glaubwürdigkeit heißt auch weniger Alarmismus in der Darstellung. Die Titel der Wirtschaftsbeiträge sind im Fernsehen mittlerweile martialisch und marktschreierisch formuliert. Sie heißen „Schlachtfeld Internet“, „Tierfabrik Deutschland“, „Giftmüll für den Wohnungsbau“, „Im Land der Lügen“. In der ARD-Media­thek empfehlen seit kurzem Redakteure im besten „Jerry Cotton“-Ton („Wir lieben knallharte Dokumentationen ….“) „Gift – Politthriller über gepanschte Medikamente“, „Nackt im Netz – intime Details von Politikern im Handel“, „Der unsichtbare Feind – tödliche Supererreger aus Pharmafabriken“ und „Wir hacken Deutschland“. Zu viele Fernsehbeiträge sind nach dem Schema Gut, Böse, Emotion aufgebaut. Autoren bekommen Formatierungsempfehlungen und beklagen mitunter das „Tremolo der Aufgeregtheiten“, zu dem sie angehalten sind.

Eine andere Beobachtung zielt auf die Balance der Berichterstattung. Redaktionen greifen aus dramaturgischen Gründen in vielen Formaten „Fälle“ auf, also Geschichten, deren Spannung daher rührt, dass sie Konflikte oder Probleme beinhalten. Die Geschichten drehen sich um Fehler und Fehlentwicklungen der Wirtschaft. Derartige Berichte sind in einer Demokratie notwendig, gleichwohl führt die Fokussierung auf „Fälle“ wahrscheinlich dazu, dass Zuschauer Wirtschaft konfliktreicher und problematischer erleben, als sie in der Realität ist.

Zu kurz kommt die Perspektive der Wissensvermittlung. Während es für Kinder „Logo“ und „Die Sendung mit der Maus“ mit faszinierenden Sachgeschichten gibt, fehlen vergleichbare, spannend gemachte Erklärstücke für Erwachsene. Dabei hat das Fernsehen hier große Stärken, ein Beispiel ist „Terra X“ (ZDF). Hier werden historische und technische Entwicklungen, aber auch Archäologie und Physik in großen Geschichten aufbereitet und ebenso attraktiv wie erfolgreich den Zuschauern vermittelt. Auch wirtschaftliche Sendungen sind denkbar, die Phänomene erklären oder Probleme lösen.

Trotz dieser Mängel bieten öffentlich-rechtliche Fernsehsender eine große thematische Bandbreite an Wirtschaftsthemen. Der Infomonitor des IFEM Instituts belegt, dass die Wirtschaftsberichterstattung eine Domäne der Öffentlich-Rechtlichen ist. Das gilt auch für die Nachrichtensendungen. Im Vergleich der Nachrichten lag 2016 das „heute-journal“ (ZDF) bei Wirtschaft vorn. Im Schnitt widmete das „heute-journal“ Wirtschaftsthemen acht Prozent Sendezeit, die „Tagesthemen“ sieben, „RTL aktuell“ drei, die „Sat.1 Nachrichten“ vier Prozent. Die Wirtschaftsberichterstattung erreichte im April 2016 anlässlich der Panamapapers, des VW-Abgasskandals und der Kontroversen um TTIP ihren Höhepunkt. Bei den Wirtschaftsmagazinen konzentrierte sich die ARD stärker auf klassische Wirtschaftsthemen (76 Prozent), beim ZDF („WiSo“) überwogen Verbraucherthemen (47 Prozent), ermittelten Forscher für die Media Perspektiven 6/2016. „WiSo“ wird anders als „Plusminus“ regelmäßig ausgestrahlt und enthält auch aktuelle wirtschaftspolitische Stücke. Privatsender profilierten sich durch Regionalmagazine der Fensterprogramme mit ihrem Mix aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Justiz. Unter den Talkshows, die oft Wirtschaftsthemen aufgreifen, lag „Anne Will“ (ARD) mit durchschnittlich 4 Millionen Zuschauern vor „Hart aber fair“ (ARD) mit 3,1 Millionen und „Maybrit Illner“ (ZDF) mit 2,6 Millionen Zuschauern.

Eine ganze Reihe von Reportagen und Dokumentationen des vergangenen Jahres waren herausragend. Die Juroren lobten aufgrund ihrer Recherchen, ihrer Darstellung und Verständlichkeit unter anderem „Deutschlands große Clans – Die C&A Story“ (ZDF), „Das Märchen vom sauberen Auto“ (SWR), „PanamaPapers – Im Schattenreich der Offshorefirmen“ (NDR/WDR), „Whistleblower – Allein gegen das System“ (Deutsche Welle), „Einsame Spitze – Top Manager am Limit“ (NDR), „Milliarden für Millionäre – Wie der Staat unser Geld an Reiche verschenkt“ (WDR), zudem aus der NDR-Reihe „45 Min“ den „VW-Krimi“, „Mode schlägt Moral – Wie fair ist unsere Kleidung“ (WDR) und „Die Lachs-Industrie“ (NDR). Zahlreiche gute Firmenportraits von Mittelständlern, viele von SWR („Made in Südwest“) und HR, bereicherten das Programm, zum Beispiel „Zuflucht aus Beton – Die Flüchtlingshilfe des Martin Hachmeister“ und exzellente Magazinstücke wie „Minuszinsen“ und „Gesetzliche Rente rentabler als private Vorsorge“ (beide HR). Die Wissenschaftssendung „Quarks & Co“ gab kluge Antworten auf die Frage „Wie geht TTIP?“, der BR produzierte einen sehenswerten „Geld-Check im Ersten“ zur Rente, der HR einen guten „Geld-Check“ zur Preisbildung. Ausgiebig widmete sich das Fernsehen dem Silicon Valley. Vox sendete am 15. Oktober eine abendfüllende, vierstündige Gründer-Dokumentation „Hightech oder Hölle – Leben im Silicon Valley“, das ZDF „Schöne neue Welt: Wie Silicon Valley unsere Zukunft bestimmt“. Die Brexit-Berichterstattung war ein weiterer Schwerpunkt im Programm. „Makro“ (3sat), thematisierte „Europa nach dem Brexit“.

Die privaten Sender n-tv und N24 zogen 2016 mehr Publikum an. Auf diesen Kanälen werden Nachrichten, Live-Berichterstattung, Dokumentationen und Wirtschaftsreportagen gesendet, speziell bei n-tv, das angekündigt hat seine Nachrichten noch einmal auszuweiten. Kabel eins produzierte die Erfinder-Reportage „New Made in Germany“. Phoenix, das traditionell einen hohen Anteil an Wirtschaftsberichterstattung hat, strahlte neben vielen Diskussionen eine Reihe interessanter Dokus aus.



Wirtschaftsthemen sehen Zuschauer auch in Unterhaltungssendungen. Auch hier bildet sich Meinung, womit eine große redaktionelle Verantwortung verknüpft ist. Nehmen Sender sie ausreichend wahr? „Tödliche Geheimnisse“ (ARD, ORF) kündigte die ARD so an: „Der Thriller um das umstrittene Freihandelsabkommen macht greifbar, welche Gefahren für Demokratie, Verbraucherschutz und viele Lebensbereiche von TTIP ausgehen.“ Die mitspielende Katja Riemann äußerte sich über den Film so: „Die Diktatur der Wirtschaft ist so umfassend und versucht alles, um als agierender Diktator nicht sichtbar zu sein.“ Die Film-Kritik der Süddeutschen Zeitung fand das verantwortungslos: „Ein Akteur darf das Handelsabkommen TTIP unwidersprochen so zusammenfassen, Europa handele sich Hormonfleisch und Genfood ein, um etwas Läppisches wie einheitliche Autoblinker zu bekommen. … Das Drehbuch basiert laut Sender auf detailreichen Recherchen … zwei Anti-TTIP-Aktivis­tinnen und ein TTIP-Gegner der Grünen waren ‚Fachberater‘.“



Vox thematisiert Wirtschaft in der Unterhaltung als großes Spiel und hat damit einen enormen Zuschauerzuspruch. Der Sender stellte mit der dritten Staffel seiner Gründershow „Die Höhle der Löwen“ im Herbst 2016 mehrere Quotenrekorde auf und beweist damit, dass anspruchsvolle Themen in ideenreicher Aufbereitung ein großes Publikum finden können. Am 18. Oktober 2016 schauten 3,3 Millionen Menschen zu, als Gründer neue Geschäftsideen präsentierten. Die Quote betrug 11,3 Prozent, der Marktanteil der jüngeren Zuschauer stieg auf fast 20 Prozent.

An den Erfolg dieser Sendungen will ProSiebenSat.1 anknüpfen. Der Sender kündigte Mitte 2017 eine Show um Erfinder und Entwickler an, die Stefan Raab produzieren wird. Die Show ist als Duell konzipiert und soll „Das Ding des Jahres“ heißen.



Hörfunk

Verschiedene Sender setzten mit Wirtschaft Akzente im Programm. Besonders gelungen war neben der ARD-Themenwoche die zwölfteilige Featureserie des SWR „Die teilende Gesellschaft“. Juroren hielten das Konzept für herausragend. Thematisiert wurden unter anderem die Entstehung des Wirtschaftssystems in Jäger- und Sammlergesellschaften Namibias und in Bauerngesellschaften Kenias sowie die Kommerzialisierung des Teilens in den USA.

„Ich mach mein Ding“ heißt eine große Wirtschaftsserie des WDR, die zwei Jahre lang fünf Start-Ups aus verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens begleitet. Die Gründerserie ist trimedial angelegt. Eine andere attraktiv gemachte Serie einer großen populären Welle, die ins Ohr ging, war das „Handwerker ABC“ des Südwestrundfunks. Die 11-teilige Serie lief auf SWR 3.

Andere Sender entwickelten neue Wirtschaftsformate. Der Deutschlandfunk produziert das „Erklärwerk Wirtschaft“. Die zweiminütigen Beiträge legt der Sender in seiner Mediathek ab. Daraus entsteht ein nützliches Archiv der Wirtschaftsbegriffe. Hier kann man sich über den „Ifo-Geschäftsklimaindex“ oder die „Fed“ kundig machen. Ebenso nützlich sind die Erklärungen, die die NDR Info Wirtschaftsredaktion in klassischen 1´30 Minuten gibt. Das Format heißt „Wirtschaftslexikon“ und übersetzt Fachbegriffe wie „Kapitalverkehrskontrollen“, „Schuldenschnitt“ oder „Squeeze-Out“. Der rbb schildert in „Apropos Wirtschaft“ einen wöchentlichen Hintergrund zu aktuellen Wirtschaftsentwicklungen in Deutschland, Berlin und Brandenburg. In den 15-minütigen Reportagen kommen Macher, Analysten und Verbraucher zu Wort.

Seit dem vergangenen Jahr produziert das private Internetradio detektor.fm einmal monatlich eine einstündige Sendung zur aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins brand eins. Gespräche mit den Autorinnen und Autoren sollen die Recherchen verdeutlichen und einen persönlichen Eindruck von den Geschichten geben. Die monothematischen Sendungen lassen sich als Podcast abonnieren oder bei verschiedenen Audio-Plattformen hören. Das Konzept belegte zeitweilig Platz 1 der deutschen iTunes Podcast Charts.

Zum besten Podcast des Jahres wurde von Apple iTunes die Serie „Der talentierte Mr. Vossen” von NDR Info gekürt. Zuschauer hörten in sieben Folgen von jeweils 20 Minuten, welchen Weg der schillernde Aktienhändler und Filmproduzent Felix Vossen nahm. Für das Projekt arbeiteten die NDR Radiokunst, in der Features und Hörspiele entstehen, und die investigative Rechercheredaktion des Senders zusammen.

Feature der öffentlich-rechtlichen Sender informieren in hoher Qualität, gelegentlich auch besonders aufwändig im „ARD-Radiofeature“. Im Unterschied zum Fernsehen tragen diese Wirtschaftssendungen keine schrillen Titel. Den Juroren gefielen unter anderem „Produktionsstandort Deutschland ist wieder in“ (NDR), „Die Festplatte auf Rädern: Welche Daten das Auto sammelt – und verrät“ (DLF), „Arbeit 4.0 – Die Zukunft von Handwerk und Industrie“ (SR), „Abschied vom Faktor Mensch“ (NDR), „Leuna – Ein Schicksal aus Chemie“ (MDR), „Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in der Zukunft“ (WDR), „Sex sells – Wie weibliche Unlust zur Krankheit wurde” (DLF) und „Von wegen autofrei! Mobilität in Bayern“ (BR).

Wirtschaft spielt auch in Unterhaltungssendungen des Radios eine Rolle, wo sie manchmal gut recherchiert und amüsant hinterfragt wird, wie in der Satiresendung „Hintergrund Deluxe“ (WDR). Themen waren zum Beispiel die Mietpreisbremse, das CO2-neutrale Weihnachten und privatisierte Autobahnen.

Print

79 Prozent der vom Ernst-Schneider-Preis im Mai 2017 befragten Journalisten sagten, dass das Angebot an Wirtschaftsthemen bei Zeitungen und Zeitschriften – anders als bei Fernsehen und Hörfunk – ausreichend sei. Hier finden Leser die meisten und oft besten Hintergrundgeschichten, exzellente wirtschaftspolitische Beiträge und viel lokale Wirtschaftsberichterstattung.

Die journalistische Aufarbeitung zweier Ereignisse ragte im letzten Jahr heraus. Die „VW-Affäre“ um die manipulierten Dieselantriebe, in der besonders „Bild am Sonntag“ sehr früh, verständlich und wiederholt berichtete, und die „Panama Leaks“. Die Panama-Papiere sind vertrauliche Unterlagen des Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca, die neben legalen Strategien der Steuervermeidung auch Steuer- und Geldwäschedelikte enthüllten und eine Debatte über Steuermoral ausgelösten. Die Süddeutsche Zeitung stellte in einer großen Serie die Zusammenhänge dar und brach die Geschichte auf Deutschland herunter.

Als Reaktion auf verbreitete, aber oft unwahre Unterstellungen entwickelte die ZEIT 2017 „Fakt oder Fake“. Das verständlich geschriebene Erklärformat beantwortete zum Beispiel die Frage, ob Griechenland durch Schulden ruiniert wird oder ob Deutschlands Exportüberschuss andere Länder ausbeutet. Auf die zunehmende Nationalisierung in den USA, Großbritannien und im Osten Europas reagierte die Süddeutsche Zeitung im April 2017 mit der Serie „Globalisierung am Ende?“

Im vergangenen Jahr brachten Rheinische Post und Lübecker Nachrichten eigene Wirtschaftszeitungen heraus. Auch die FAZ wurde regionaler und konzipierte das Wirtschaftsmagazin „Frankfurter Allgemeine Metropol“. Damit folgten sie anderen Blättern, die ihr Angebot in der Region diversifizieren.

Gründergeschichten gab es viele. Zwei Projekte ragten heraus. Das Hamburger Abendblatt sorgte mit einer monatelangen Begleitung einer am Ende gescheiterten Existenzgründung („Mein erster Laden“) für Aufsehen und viel Anteilnahme unter den Lesern. Komplexe Vorgänge der Gründung, der Finanzierung und der Kalkulation wurden in dieser Serie packend und anschaulich dargestellt. Die Volontäre des Bonner Generalanzeigers realisierten ein vergleichbar großes Projekt. Sie setzten zahlreiche regionale Schwerpunkte mit ihrer Serie „Bonn macht erfinderisch“.



Den Juroren des Wettbewerbs gefielen Portraits von Mittelständlern, zum Beispiel über Dirk Rossmann „Ich wollte einfach, dass endlich genug Geld da ist“ (Hannoversche Allgemeine Zeitung), Portraits über Deutschlands Familienunternehmen in der Wirtschaftswoche und besonders die rechercheaufwändigen Geschichten von künftigen Marktführern „Champions von morgen – Neue Technologien krempeln ganze Branchen um“, die im Spiegel zu lesen sind.

Große Themen waren die Nahrungsmittelproduktion, zum Beispiel „Das Märchen vom billigen Essen“ (Stern) und die immer effektivere Milcherzeugung. Zeit und Stern thematisierten sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln in „Die Milchmaschine“ (Die Zeit), „Kuh 2665 – Die 100.000-Liter-Maschine“ (Stern). Mehrere Artikel widmeten sich der Pleite des größten Agrarkonzern Europas, KTG Agrar, besonders anschaulich in „Der Größenwahn des Siegfried Hofreiter“ (FAZ). Kluge Fragen der Machtbalance zwischen Unternehmen und Staat stellte anhand von Löhnen und Immobilienpreisen der Artikel „Die armen Kinder vom Silicon Valley“ (ZEIT). „Die Enteignung des Privaten“, Welt am Sonntag, kreiste um die Frage, wem das digitale Erbe gehört. „Das Tochter-Unternehmen“, Capital beschrieb den ungewöhnlichen Weg einer Gründerin, die tödliche Krankheit ihrer Tochter in einem Biotechunternehmen aufzuarbeiten. Viele Geschichten beschäftigten sich mit den Folgen künftiger E-Mobilität. So fragten die Stuttgarter Nachrichten „Das E-Auto kommt, doch wo bleiben die Jobs?“. Migranten und ihre Integration in den Arbeitsmarkt standen im Mittelpunkt von Themenseiten und Serien, unter anderem in „Die Fachkräfte von Irgendwann“, Hamburger Abendblatt, und „4 Flüchtlinge auf dem Weg in ein neues (Berufs-) Leben“, Mittelbayerische Zeitung. Eine große und anrührende deutsch-deutsche Geschichte um enttäuschte wirtschaftliche und politische Erwartungen druckte die Sächsische Zeitung. Sie hieß „Verlorene Heimat“.



Internet



Im Internet herrscht Überfluss, auch Überfluss an Wirtschaftsinformationen, doch viele Nutzer sind mit der Fülle überfordert. Es fehlt eine journalistische Einordnung der Fakten, denn nicht das, was wichtig ist, erhält erhöhte Aufmerksamkeit, sondern das, was Emotionen auslöst. Zahlreiche Nutzer nehmen Informationen selektiv wahr. In den sozialen Medien flüchten sie sich zudem in Selbstbeobachtung. „Jeder ist mit jedem jederzeit im Gespräch und redet doch meistens nur mit sich“ (Volker Weidemann, Spiegel). Soziale Medien verstärken außerdem Ängste. Der Sozialpsychologe Harald Welzer sieht eine Hysterisierung der Kommunikation: „Wo früher 20 Prozent der Menschenfeinde, die eine Gesellschaft hat, kommunikativ unter sich blieben, können sie sich heute so äußern, dass sie von 80 Prozent wahr- und von 50 Prozent ernst genommen werden, darunter wiederum von 100 Prozent der politischen Eliten und etablierten Medien“.

Attraktiv und nutzwertig aufbereitete Wirtschaftsthemen finden gleichwohl Leser. Dies ergibt sich aus der von Meedia im April zusammengestellten Liste der besten Einzelverkäufe von Artikeln bei Blendle. Blendle ist ein Onlinekiosk aus den Niederlanden, über den einzelne Beiträge bezogen werden können. Im April zahlten die meisten Leser für verschiedene Berichte über die Start-up Szene in Berlin (Tagesspiegel und Business Punk) und für Artikel zur Geldanlage (Welt am Sonntag und Stern). Auch guter Erklärjournalismus ist gefragt. So wurde zum Beispiel „Endlich verständlich“ von SpiegelOnline zum Brexit bis September 2016 neun Millionen Mal aufgerufen.

Aus den Beiträgen des Wettbewerbs um den Ernst-Schneider-Preis ragten hervor: „Paketzusteller – Vorurteile und Wahrheit“ von N-Joy, dem Jugendprogramm des NDR. Der Beitrag thematisierte den Onlinehandel. Bemerkenswert war, dass der Sender mit zehn Sekunden langen Snapchat-Videos experimentierte, die nach 24 Stunden erlöschen. Wie vernetzte Alltagsgeräte Router, Handys oder Webcams die Privatsphäre beeinträchtigen, zeigte Sueddeutsche.de im „Krieg im Netz der Dinge“. Eine aufwändige und sehenswerte Internetproduktion ist „Monopoly der Weltmeere“ von ARTE.tv. / ZDF. Sie beschreibt wie Staaten sich die Meere aufteilen, um Fisch, aber auch Bodenschätze wie Öl, Gas, Metall zu fördern. Diese Beiträge nutzen die multimedialen Möglichkeiten der Onlinemedien. Auch „Hannovers Wasserstadt: So entstehen 1800 Wohnungen“ ist hier zu nennen, ein spannendes Projekt der HAZ-Volontäre.

Onlineredaktionen erklärten das Erlösmodell der Musik „Was ist uns Musik noch wert?“ (BR), recherchierten Mobilitätsentwicklungen „Kopenhagen zeigt der Welt, wie man Fahrrad fährt“ (Wirtschaftswoche), stellten zusammen, welche Ärzte wie viel Geld für Studien von der Pharma-industrie erhielten „Euros für Ärzte“ (Correctiv / Spiegel Online), blickten auf „20 Jahre T-Aktie“ zurück (Boerse.ARD.de), machten Mut für einen beruflichen Aufbruch „Alles auf Anfang: Mit 50+ einen beruflichen Neustart wagen“ (perspective daily) und erklärten das Wirtschaftseinmaleins in „Cash – Boom – Crash“ mit den wichtigsten Ökonomen (WiWo).

Zwei Konzepte verdienen besondere Erwähnung: So veröffentlicht der NDR Nachrichten in leichter Sprache, darunter auch Wirtschafthemen. Ein Angebot für 14- bis 29-Jährige entwickelt „funk“. Das neue, junge Angebot von ARD und ZDF will informieren und unterhalten. Inhalte gibt es nur per App oder in den Sozialen Medien, dort wo junge Menschen online Inhalte konsumieren.

Den Juroren fiel auf, dass manche Angebote im Netz Zweitverwertungen von Sendern sind. Einige Seiten sind gesponsert. So unterstützt die Herz-Stiftung mit „Was ich noch nie über Wirtschaft wissen wollte“ (Mesh) ein Projekt, bei dem Youtube Stars Wirtschaft erklären. Die Bill & Melinda Gates-Stiftung förderte unter anderem Spiegel-Recherchen bei der „Expedition Übermorgen“. Darunter waren lesenswerte Auslandsbeiträge zu Solaranlagen „Vom Ende der Dunkelheit“ und „Stolze Kinderarbeiter“, bei denen Fragen zum Sponsoreneinfluss gestellt wurden.

Spardruck, Quote und der neue Blick aufs Gelungene

Stellungnahme zur Entwicklung der Wirtschaftsberichterstattung 2016

Nach unserer Beobachtung verändert sich die Wirtschaftsberichterstattung. Sie wird partiell besser und gleichzeitig in anderer Hinsicht schwächer. Dafür sind verschiedene Entwicklungen verantwortlich. Mit dieser Stellungnahme, die Anregungen der Industrie- und Handelskammern aufgreift, wollen wir Trends benennen und Anstöße zur Verbesserung der Wirtschaftsberichterstattung geben. Die Studie stützt sich auf Umfragen, Medienbeobachtung und die Auswertung von über tausend Wirtschaftsbeiträgen, die zum Ernst-Schneider-Preis 2016 eingereicht wurden. Die IHKs stiften diesen Preis seit 45 Jahren. Sie wollen, dass die Menschen wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen. Dieses Wissen ist für die Gesellschaft von Bedeutung. Es setzt eine breite und verlässliche Information voraus. Wir sehen verschiedene Entwicklungen:

  • Viele Redaktionen müssen sparen. Es fehlt teilweise an Recherchezeit; Expertise und Kontakte gehen verloren. Dies berichten zum Beispiel Regionalzeitungen. Manche ihrer Chefredakteure haben keine Kapazitäten mehr, um große Wirtschaftsserien ins Blatt zu nehmen. Analysen und langfristige Einschätzungen finden seltener statt. 75 Prozent der 158 befragten Journalistinnen und Journalisten bedauern in einer aktuellen Umfrage des Ernst-Schneider-Preis, zu wenig zu tun oder – mangels Ressourcen – tun zu können, um anspruchsvolle Wirtschaftsthemen zu vermitteln.
  • Emotionale Einzelfallbeschreibungen nehmen besonders im Fernsehen zu, weil sie die Aufmerksamkeit steigern. Oft ersetzen Fallbeispiele die Analyse. So wurde zum Beispiel die Flüchtlingskrise in weiten Teilen über erschütternde Einzelschicksale erzählt. Dieser Berichterstattung fehlte mitunter ein Blick auf Gesamtzusammenhänge. Da die Berichte anfangs Übergriffe und Probleme ausklammerten, empfanden viele Zuschauer die Berichterstattung als lückenhaft. Sie ließ Zuschauer aufgewühlt und verunsichert zurück. Die Berichterstattung wurde dank einer besseren Einordnung der Vorgänge mit der Zeit besser.
  • Welche Relevanz das Fehlen ausgewogener Berichterstattung hat, konnte man in Großbritannien beobachten. Über Jahre haben populäre Medien wie „Daily Mail“, „Sun“, „Daily Express“, „Daily Telegraph“ und „Daily Star“ Emotionen schürend über die EU berichtet und Stimmung für den Brexit gemacht (Reuters Studie 5/2016). In keinem andere Mitgliedsland wissen die Einwohner so wenig über die EU wie in Großbritannien (Bertelsmann Stiftung 4/2016). Nach Ansicht der „Economist“-Chefredakteurin Zanny Minton Beddous hat die emotionale Berichterstattung eine wichtige Rolle beim Votum für den EU-Ausstieg gespielt.
  • Journalisten, und damit auch Programmverantwortliche, unterschätzen tendenziell die Bedeutung von Wirtschaft für die Gesellschaft. Dies sagen 62 Prozent der vom Ernst-Schneider-Preis befragten Journalisten. Vier von fünf Befragten sind der Meinung, dass wirtschaftliche Themen besonders im Fernsehen zu wenig Sendezeit finden. Wird über Wirtschaft berichtet, geschieht dies überwiegend unter nutzwertigen Aspekten der Verbraucherberichterstattung. Doch auch die immer wieder neu zu justierenden Spielregeln der Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik benötigen ausreichend Programmplätze. Bundespräsident Joachim Gauck: „Die Soziale Marktwirtschaft braucht informierte Bürger, die selbstbewusst am Wirtschaftsleben teilnehmen“.
  • An einem Teil der Bevölkerung geht zurzeit jede Wirtschaftsberichterstattung vorbei. Das Kölner Rheingold Institut schätzt, dass sich nur noch 50 bis 60 Prozent der Deutschen in den Leitmedien zu Hause fühlen. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat sich in die sozialen Echoräume des Internets zurückgezogen. Über Facebook und Twitter sortieren sie vor, was in ihr Weltbild hineinpasst. So dringt aus dem täglichen Nachrichtenstrom nur das durch, was die eigenen Ansichten und Interessen bestätigt. Manche Nutzer leben teilweise in einer „Filter Bubble“ – sicherlich eine der großen gemeinsamen Herausforderungen.
  • Gleichzeitig leisten Rechercheverbünde und große Titel Herausragendes zur Information ihrer Leser. „Swiss Leaks“, „Luxemburg Leaks“, „Panama Papers“ sind Beispiele eines neuen, international arbeitsteiligen Wirtschaftsjournalismus, der globale Themen wie Steuervermeidung und Steuermoral aufgreift und politisches Handeln auslöst.
  • Und schließlich scheint sich der Blickwinkel zu öffnen. Der Blick der Journalisten geht öfter als früher auf das Gelungene. Neben der Kritik an den Zuständen und dem Fehlverhalten Einzelner zeigen mehr Wirtschaftsbeiträge als bisher das Realisierte. Die Berichterstattung über Start ups („Made in Berlin“, rbb) und die Gründershow von Vox „Höhle der Löwen“ sind Beispiele für diesen Trend. Zu nennen sind auch journalistisch gelungene Firmenportraits; die besten kamen in diesem Jahr vom SWR. Optimistische Websites wie „perspective-daily.de“ sind entstanden, die ein ausgewogenes Weltbild vermitteln wollen. Am deutlichsten wird der Trend durch eine neue Rubrik im Nachrichtenmagazin Spiegel. Sie heißt „Früher war alles schlechter“ und zeigt den langfristigen Fortschritt zum Beispiel in der Armutsbekämpfung, der Kinderarbeit, im Umweltschutz oder in der Medizin.

Die Entwicklung im Einzelnen

I. Fernsehen

Aus der Perspektive der Wirtschaft war „Die Höhle der Löwen“ von Vox die Überraschung des Jahres. Die Show erhielt im Herbst 2015 den Ernst-Schneider-Preis, weil sie den Zuschauern das sperrige Thema „Existenzgründung“ spielerisch und gleichzeitig sehr anschaulich erschloss. An der Staffel sind verschiedene Dinge bemerkenswert: Der anhaltende Publikumserfolg, der bei Vox umso höher einzustufen ist, als Vox mehr Frauen als Männer schauen und Frauen mit Wirtschaftsthemen schwerer zu erreichen sind, die mutige Programmierung auf 20.15 Uhr, die Auswahl interessanter Protagonisten und Geschäftsideen sowie die Leichtigkeit, mit der ohne Berührungsängste über Umsätze, Renditen und Gründereigenschaften gesprochen wurde.
Unter den Privatsendern gelang auch RTL mit „Team Wallraff“ ein Erfolg. Die gut recherchierte Reportage über die Qualität von Schulessen gelangte in die Schlussjury. Ansonsten wird im Programm des größten Privatsenders vergleichsweise wenig über Wirtschaft und wenig über Politik berichtet. Ein Wirtschaftsmagazin findet man bei keinem der großen privaten Sender, weder bei RTL, noch bei Sat.1, Pro7 oder Vox.

Der Anteil der Wirtschaftsinformationen in den Hauptnachrichten schwankt je nach Sender und Format. Fünf Prozent der Themen in der Tagesschau sind Wirtschaftsthemen. Bei RTL sind es drei Prozent. Am Abend steigt der Wert: Bei den Tagesthemen (ARD) auf acht, beim heute journal (ZDF) auf neun Prozent (Ifem Institut).

Die meisten Wirtschaftsbeiträge sendete der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Auch im Aktuellen und in unterhaltenden Formaten greifen Redaktionen wirtschaftliche Themen auf. In der Gesamtschau gab es hervorragende Dokumentationen und Reportagen. Die Juroren lobten unter anderem den Afrikafilm „Der Glanz der Schattenwirtschaft“ (BR), „Das Märchen von der Elektromobilität“ (ARD, BR), den TTIP-Film „Wohlstand für alle“ (ARD, SWR), die Dokumentation über den chinesischen Immobilienmarkt „Ausländer bevorzugt“ (ARTE / WDR), den globalen und sehr erhellenden Blick auf die chinesische Schifffahrtspolitik „Chinas Macht auf dem Meer“ (3Sat, ZDF), das Mittelständlerportrait von ebm-papst „Prima Klima“ (SWR), den Mehrteiler „Wem gehört der Osten?“ (MDR) und „Deine Arbeit, Dein Leben!“, eine Dokumentation des WDR, die aus vielen Hundert Videos der Zuschauer montiert ist.

Die Leistungsstärke des öffentlich-rechtlichen Fernsehens könnte zu noch mehr Wirtschaftsbeiträgen führen. An manchen Tagen verdichtet sich jedoch den Eindruck, dass einer guten Quote ein wichtiger Inhalt untergeordnet zu werden scheint. Wolfgang Herles, der langjährige ZDF-Journalist, hat über den Konflikt zwischen Reichweite und Programmauftrag interessante Gedanken geäußert. In „Die Gefallsüchtigen“ beklagt er, dass Nachrichtensendungen wie Konsumartikel behandelt würden und Redakteure wie Produktmanager dächten, ihre Leistung sogar an den Quoten gemessen würde. Herles, der mit beeindruckenden Portraits über Ferdinand Piech und Rolf Breuer zwei Ernst-Schneider-Preise gewann, wählt für seine Programmkritik ein drastisches Bild: „Würde man ein Krankenhaus nach ähnlichen Prinzipien und Werten führen, würden die Risikopatienten mit höherer Mortalitätswahrscheinlichkeit in den Warteraum geschoben, während man sich mit Hingabe Schnittwunden und Sonnenbränden widmen würde.“ Er schlägt eine regelmäßige „Seite Drei“ vor, also prominent platzierte Dokumentationen und Reportagen über die Gesellschaften und Ökonomien in den Ländern Europas, über die Zustände in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, über die Digitalisierung und die großen globalen Prozesse.
Die Programmplaner scheinen zu befürchten, dass anspruchsvolle Themen zu viele Zuschauer zum Umschalten bewegen können. Daher setzen sie gerne auf leichter konsumierbare und meist quotenstärkere Verbraucherthemen. Als am Montag, 30. Mai 2016, auf einem Gipfeltreffen in Berlin die Politik Soforthilfen von 100 Millionen Euro für deutsche Milchbauern ankündigte, wäre dies eine gute Gelegenheit gewesen, um über den Milchmarkt, die Gründe des Preisverfalls von Milch sowie Sinn und Wirkung von staatlichen Hilfen zu berichten. Die Wirtschaftssendung WISO (ZDF) warb an diesem Tag mit der Schlagzeile: „Heute in WISO: Teuer oder billig – MarkenKonfitüre oder Discounter-Aufstrich?“

Auch die Europaberichterstattung ließe sich ohne Weiteres verbessern. Ihre Beiträge haben oft hohe wirtschaftliche Relevanz. Im vergangenen Jahr wurden zwei Beiträge des Brüsseler Studios für den Ernst-Schneider-Preis nominiert. Doch das sonntägliche „Europamagazin“ fällt im Winter regelmäßig wegen Wintersportübertragungen aus. Insgesamt produzierte der WDR, der im wöchentlichen Wechsel mit dem SWR für das „Europamagazin“ verantwortlich ist, im Dezember 2015, im Januar, Februar, März und Juni 2016 jeweils nur eine Sendung. Besonders unverständlich ist die Programmentscheidung vom 26. Juni 2016: Drei Tage nach der historischen Brexit-Abstimmung, zudem der Tag der mit Spannung erwarteten spanischen Parlamentswahl, sendete die ARD statt des „Europamagazins“ einen Lauf der Deutschen Tourenmeisterschaft. Der vorangehende „Presseclub“ hatte mit dem Thema Brexit mit 9,8 Prozent eine besonders hohe Quote. Eine Themenvertiefung des „Europamagazins“ wurde den Zuschauern vorenthalten. Die ARD schrieb in einer Pressemitteilung: „Die gerade beendete Wintersport-Saison 2015/16 hat beim Fernsehpublikum erneut großes Interesse ausgelöst. Durchschnittlich 2,43 Millionen Zuschauer verfolgten die Übertragungen im Ersten“.
Unter den kleineren Sendern hat n-tv die umfangreichste Wirtschaftsberichterstattung und produzierte unter anderem eine Serie zu Gründern („Wirtschaftsfaktor Startups“). Der Nachrichtensender berichtete eingehend über den VW-Skandal, über die Griechenlandkrise und sendete eine Branchenportraitreihe „Das Geschäft mit .. Veganern, .. der ewigen Jugend, .. dem Tod“. Phoenix bietet ebenfalls viele Wirtschaftsinformationen. In den Tagen während und nach der Brexit-Abstimmung produzierte der Bonner Ereigniskanal 50 Stunden Sondersendung. Auch im Fernseh-Programm der Deutschen Welle finden Zuschauer informative Stücke, zum Beispiel die Reihe „Wirtschaftsregionen in Deutschland“ und Filme aus Europa wie „Ohne Zukunft: junge Menschen im Kosovo“.

II. Hörfunk

Die Radionutzung in Deutschland steigt. Drei von vier Personen schalten täglich das Radio ein und hören jeden Tag durchschnittlich 190 Minuten (Media Analyse Radio II). Das Radio ist Tagesbegleiter, Unterhaltungsmedium und Informationsquelle. Wirtschaftliche Informationen sind nach Ansicht von Journalisten dabei jedoch deutlich unterrepräsentiert. In der Umfrage des Ernst-Schneider-Preis, an der sich 158 Journalisten beteiligten, sagten 71 Prozent, dass Wirtschaftsthemen im Hörfunk nicht genügend Platz finden. Dieser Wert ist seit Jahren unverändert hoch und deutet auf ein grundsätzliches Manko hin. Gut bedient werden Hörer bei den Informationswellen. Der Deutschlandfunk ist hier Marktführer. Ihn hören mittlerweile täglich 1,6 Millionen Menschen, weil sie verlässliche Informationen und die Kommentierung des Tagesgeschehens schätzen.

Trotz dieser Einschränkung gab es auch im zurückliegenden Jahr herausragende Produktionen. Viele Radiobeiträge des Wettbewerbs um den Ernst-Schneider-Preis dokumentieren auf hohem Niveau Zeitgeschichte („NRW Industrien im Wandel“, WDR), analysieren problematische Strukturveränderungen „Outlet everywhere – Der Handel kannibalisiert sich weiter“ (WDR) und widmen sich neuen Entwicklungen wie „Robot Economy“ (BR) oder auch „Internet der Dinge – Gefahren und Chancen der digitalisierten Welt“ (DLF). Hörer können bei diesen Sendungen viel erfahren und viel lernen. Den Juroren gefielen darüber hinaus nachdenkliche und ideologiefreie Feature wie „Die Waffen einer Stadt – Heckler & Koch in Oberndorf“ (SWR), große Portraits wie „Das Ende der Siemens-Familie“ (BR), unterhaltende und dennoch informative Sendungen wie „Panzerfahren für Papi – Das Geschäft mit den Erlebnisgeschenken“ (DLF) und lebensnahe Wirtschaftsreportagen wie „Abgebrannt – Vom schwierigen Neustart einer Holzhausfirma“ (BR).
Zu nennen ist hier auch das ARD-Radiofeature „Switch off Shanghai!“ (NDR), das auf raffinierte und spannende Weise die Gefahren von Cyberattacken durchspielte. Großes Echo löste auch eine crossmedial aufbereitete und beworbene Sendung unter den Hörerinnen und Hörern aus. Das Feature hieß „Fahrradklau – Von Diebesbanden und Bügelschlössern“ (WDR) und untersuchte die wirtschaftlichen Folgen des täglichen Diebstahls von annähernd tausend Fahrädern in Deutschland. Die Autoren statteten Testräder mit GPS-Sendern aus, befragten Experten und gaben praktische Sicherheits-Tipps.

Zwei Beiträge hielten die Juroren für besonders innovativ, beide kamen vom WDR. „Deine Arbeit, Dein Leben – Probezeit!“ ist eine Dokumentation der täglichen Arbeit in Nordrhein-Westfalen, erstellt aus zahllosen Einsendungen von Hörern. „Let‘s Play VW-Skandal“ und „Let‘s Play Griechenland Manager“ sind Glossen, ironisch überhöhte Beiträge, deren Besonderheit darin liegt, das auf Youtube bei Jugendlichen erfolgreiche „Let‘s Play“ – Genre zu parodieren.

III. Print

Neu ist die Transparenz, die einige Blätter zeigen. Sie treten damit dem Vorwurf mangelnder Objektivität und Ausgewogenheit entgegen. In der „Zeit“ stehen seit November 2015 unter größeren Geschichten häufiger Kästen, die über die Entstehung des Artikels informieren. Giovanni Di Lorenzo, Zeit-Chefredakteur, sagt dazu: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Leute gar nicht mehr vorstellen können, dass wir beispielsweise für eine Geschichte fünfmal an einen Ort fahren.“

Eine Quelle, 400 Journalisten, ein Jahr Arbeit. Was die Leser der Süddeutschen Zeitung über Geldströme erfuhren, die von einer panamaischen Anwaltskanzlei gesteuert wurden, war aufsehenerregend. Die Unterlagen waren von NDR, WDR und SZ mit internationalen Medienpartnern ausgewertet worden. Sie zeigen, welche Kraft Rechercheverbünde entfalten können. Im Wettbewerb 2016 lobten Juroren die vergleichbaren „Swiss Leaks“, eine journalistische Aufbereitung der Schweizer Dokumente der HSBC, die zeigen, wie Geld vor Steuerbehörden versteckt wurde.

Leser finden im Vergleich zu anderen Medien in Zeitungen und Zeitschriften besonders viele Wirtschaftsthemen. Das Angebot empfinden auch Journalisten als ausreichend. Sie erwarten nach der Umfrage des Ernst-Schneider-Preis auch in Zukunft, dass Printtitel das Genre sind, wo Rezipienten am ehesten hintergründige Wirtschaftsgeschichten und Artikel zur Wirtschaftspolitik finden werden.

Viele solcher großartiger Reportagen bewerteten Juroren im Ernst-Schneider-Preis 2016. In Erinnerung bleiben die Geschichte aus der „Zeit“ über die Schwierigkeiten der Deutschen Bank „Sie nennen es Sterbehaus“, die Analyse der Energieerzeugung „Atomkraft? Nie wieder!“, Handelsblatt, und ein wunderbares Portrait eines Frankfurter Einzelhändlers, der in Zeiten des Onlinehandels mit Beratung und Kundennähe überlebt („Laden und Sein“, FAZ). Es gab Artikel, die neue Fragen stellen, zum Beispiel die, wie sich Flüchtlingsströme finanzieren („Die Geldverschicker“, Die Zeit) oder ethische Fragen aufwerfen wie in „Der Preis des Überlebens“, taz, wenn Tabletten eines Medikaments gegen Hepatitis C ein kleines Vermögen kosten. Die beste Überschrift fand Capital zu den Abgasproblemen von Volkswagen. Sie lautete: Die „Auto-Immunerkrankung“.

Viele Flüchtlingsgeschichten standen in Zeitungen, darunter abwägende und historische Vergleiche bemühende Beiträge, die Möglichkeiten der Integration über Arbeit und ihre Kosten thematisierten. Auch mehrere Regionalzeitungen boten trotz der eingangs genannten Kapazitätsprobleme gute Artikel. Den Juroren fielen die Stuttgarter Nachrichten auf, die in „Nordwärts“ ein Jahr lang junge Italiener begleiteten, die vom Klinikverbund in Stuttgart angeworben wurden und eine Ausbildung durchlaufen. Besonders gelungen waren auch die grafisch und faktenreich überzeugende Darstellung „So viel Region steckt in einem Airbus 380“ der Aachener Zeitung, die Einzelhandelsgeschichte „Starker Handel, Starke Städte“ aus der Braunschweiger Zeitung und die Serie „Zukunft der Arbeit – Arbeit der Zukunft“ der Mittelbayerischen Zeitung. Eine innovative Idee realisierte der Kölner Stadt-Anzeiger. Er machte eine Ausgabe seiner Zeitung weiblich, nannte das Blatt „Kölner Stadt-Anzeigerin“ und stellte erfolgreiche Frauen vor, die den Leserinnen Mut machen sollten beruflich mehr auszuprobieren.

IV. Internet

Die Welt ist voller negativer Nachrichten – aber bilden sie die Welt ab? Im August 2015 schrieb „Spiegel Online“-Chefredakteur Florian Harms, er wolle in Zukunft mehr Artikel veröffentlichen, die auch bei düsteren Themen einen Aspekt aufzeigen, der Hoffnung macht und eine andere Perspektive aufgreift. Die Website zu dieser Sichtweise heißt www.ourworldindata.com. Sie liefert Daten gegen ein übertrieben negatives Weltbild, über das der Oxford-Ökonom Max Roser sagt: „Je gebildeter, desto pessimistischer“.

Auch die Website „Perspective Daily“, finanziert von 14.000 Menschen, will mehr tun, als wirtschaftliche Skandale aufzudecken. Die Seite gibt der Wissenschaft mehr öffentliches Gewicht. Nicht unwichtig in Zeiten, in denen die Algorithmen im Netz ein Problem erzeugen. Sie verstärken die Beachtung, die die populärsten Personen und Informationen erhalten. Je mehr bestimmte Informationen oben in den Trefferlisten von Google landen, desto stärker sinkt die Chance, dass andere Informationen überhaupt beachtet werden. Diese Erfahrung machten auch Journalisten, die einen ausgewogenen Beitrag zu TTIP realisieren wollten – sie fanden im Netz kaum Argumente pro Handelsabkommen.

Eine Reihe guter Wirtschaftsangebote ist im Internet entstanden. Zu ihnen gehört „Wir müssen mal reden“, ein Videoblog von Markus Gürne. Der ARD-Börsenstudioleiter erklärt in einem Café gegenüber der Börse auf amüsante und anschauliche Art Wirtschaftsthemen, wobei ihm Kaffeebecher schon mal als Ölstaaten dienen. Den Juroren gefiel ein Angebot auf Youtube, das sich an jugendliche Nutzer wendet. Es heißt „Was ich noch nie über Wirtschaft wissen wollte“ von MESH Collective. Szenebekannte Youtuber informieren in kurzen Clips über wirtschaftliche Phänomene. Exzellente Beiträge realisiert die Wirtschaftswoche, darunter aufwändig produzierte Seiten wie „Menn oder Maschine“, die den Stand der Robotertechnik in unterhaltsamen Selbstversuchen zeigte.

Andere Angebote zielen auf eine Beteiligung der Leser, zum Beispiel „Virtuelle Redaktion für Sparkassen-Recherche“, Correctiv. Das Handelsblatt schilderte in „Tatort Volkswagen“ minutiös, wie es zum größten Industrieskandal der Nachkriegsgeschichte kam und verknüpfte damit das Angebot, den Text mit Leserinnen und Lesern fortzuschreiben. Auch „Krautreporter“ bemüht sich über soziale Medien und offene Teams User in die „Recherche-Community“ einzubeziehen.
Ein anderer Trend ist die Gamification. Sie will dem Leser durch spielerische Elemente Informationen vermitteln wie in „Falcianis Swiss Leaks – Der große Bankdatenraub“. Der Leser soll nach jedem Absatz Fragen beantworten, zum Beispiel wie er sich an Stelle des Whistleblowers Falcianis verhalten hätte. Als eine Mischung aus Videospiel und Journalismus werden newsgames bezeichnet. Sie sind im englischsprachigen Raum beliebt (zum Beispiel „Cutthroat Capitalism“ von Wired). Ein deutsches Beispiel von newsgames/gamification bietet der Beitrag vom SWR über „Die Geschichte des Südwestens“ (Episode „Industrialisierung“). Er ist grafisch ansprechend und hochwertig gestaltet, urteilte die Vorjury und glaubt, dass solche Art von gamification an Bedeutung gewinnen könn-ten.

Was ins Weltbild hineinpasst

Die Digitalisierung verändert unseren Blick auf die Wirtschaft

Eigentlich sind die Sozialen Medien noch Kinder. Facebook ist zwölf Jahre alt, Twitter zehn. Noch jünger sind WhatsApp mit sieben Jahren und Snapchat, das gerade fünf geworden ist. In dem Alter schreibt man kurze Sätze ohne große Botschaften, und so tippte Jack Dorsey, der Erfinder von Twitter, am 21. März 2006 „Just setting up my twittr“. Dies war der erste Tweet. Was Jan Koum und Brian Acton, die Gründer von WhatsApp, der Welt mitteilten, ist nicht bekannt. Sicher ist nur, dass die Sozialen Medien in ihren jungen Jahren sehr viel beeinflusst haben: Unsere Kommunikation, unsere Information, unsere Art zu schreiben, unser öffentliches Bild. Die Sozialen Medien sind sogar dabei, unseren Blick auf die Wirtschaft zu verändern.

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Das ganze Bild zeigen

Stellungnahme zur Entwicklung der Wirtschaftsberichterstattung 2015

Die Griechenlandkrise zeigt ein Problem der Wirtschaftsberichterstattung. Die Menschen bekamen über alle Medien so viele Informationen wie noch nie, aber was in Griechenland wirklich geschah, verstanden sie meist nicht. Es war, als hätte man ein riesiges Puzzle über Deutschland ausgeschüttet. Doch wenn man die einzelnen Teile ineinander legte, fehlten entscheidende Stücke und zahlreiche wiederholten sich. Ein Bild war nicht erkennbar. Das kann daran liegen, dass Journalisten naheliegende Fragen nicht stellten. Zum Beispiel die Fragen woher die Schulden rührten und warum die Griechen ihren Staat nicht reformieren. Journalisten befassten sich kaum mit der Geschichte Griechenlands, ergründeten selten die Einstellung der Menschen zum Staat und fragten nicht nach ihrer Haltung zur Wirtschafts­ordnung. Sie unterschätzten den Einfluss von mentalen Barrieren, orthodoxer Kirche und Kommunistischer Partei. Stattdessen berichteten sie ausführlich von Sparvorgaben der EU („Brüssel verlangt Rentenkürzungen“), hielten leicht auffindbare, populäre Teile des Puzzles hoch und deckten damit nur einen Teil der Realität auf.

Die Berichte über das Freihandelsabkommen TTIP zeigten ein ähnliches Bild: Chlorhühnchen und Beiträge über Proteste gegen das Freihandelsabkommen überlagerten regelmäßig eine umfassende Information. Dies deutet auf ein generelles Problem bei komplexen Wirtschafts­themen hin. Es scheint, als wachse die Differenz zwischen den Nachrichten, die die Menschen mitbekommen, und den Nachrichten, die die Menschen verstehen (Gäbler, Anspruch und Wirklichkeit der Politikmagazine, Juni 2015).

Viele Wirtschaftsjournalisten sind mit der Bericht­erstattung nicht zufrieden. In einer aktuellen Umfrage des Ernst-Schneider-Preis sagen fast zwei Drittel der 179 Befragten, dass Journalisten generell die Bedeutung von Wirtschaft für die gesellschaftliche Entwicklung unterschätzen. Zum anderen verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen in den Redaktionen und es fehle an Sendeflächen – gerade im Fernsehen und im Hörfunk. Die Befragten beklagen eine ausufernde Verbraucherberichter­stattung, eine Tendenz zur Vereinfachung und Skandalisie­rung sowie ein Denken in Schubladen. Zu oft ersetze die Personalisierung die Sachrecherche mit der Folge, dass Einzel­schicksale übergewichtet werden. Zudem werde auf Innovationen, Erfolge und den Mittelstand zu wenig eingegangen.

Die Stellungnahme der Industrie- und Handelskammern will einen Anstoß zur Entwicklung der Wirtschaftsbericht­erstattung geben. Sie stützt sich auf Studien, Medienbeobachtung und die Auswertung von über tausend Wirtschaftsbeiträgen, die zum Ernst-Schneider-Preis 2015 eingereicht wurden. Die IHKs stiften den Preis seit 44 Jahren. Ihr Ziel ist, dass die Menschen über Hintergründe und Zusammenhänge der Wirtschaft verständlich informiert werden.

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Mehr Wirtschaft wagen

Stellungnahme zur Entwicklung der Wirtschaftsberichterstattung 2014

In der Tagesschau vom 11. Juni 2014 prallten zwei Welten aufeinander. Wütende Taxifahrer pro­testierten gegen die Wettbewerbsverzerrung der digitalen Start-ups Uber und WunderCar. Deren Gründer guckten ungerührt in die Kamera und sagten, dass die Welt sich gedreht habe. Per App. Ähnliche Erfahrungen wie die Taxifahrer machen die Hotelbranche mit Airbnb und die Buchhandlungen und -verlage mit Amazon. Die Liste ließe sich um Reisebüros, Zeitungen und Banken verlängern. Eine Welle technischer Durchbrüche verändert die Welt, getrieben von exponentiell wachsenden Datenmengen, immer leistungsfähigeren Computern und stetigen Entwicklungen der Robotik. Schon heute sind mehr Dinge mit dem Internet verbunden als es Menschen gibt. Auf allen Ebenen transformiert sich die Wirtschaft. Wir leben in Zeiten eines Umbruchs. Mehr denn je braucht es einen wachen Blick, Recherche und kluge Einordnung, kurzum: kundige journalistische Begleitung.

Die IHKs wünschen sich kompetente Berichte und sie wünschen sich mehr Wirtschaftsthemen – im Fernsehen und besonders im Radio. Hier liegt ein Defizit, auch zahlreiche Journalisten sehen es (Umfrage Ernst-Schneider-Preis 5/2014). Die befragten Ressortleiter und Chefredakteure sind nahezu unisono der Ansicht, dass die Bedeutung der Wirtschaftsberichterstattung für die Entwicklung der Gesellschaft deutlich unterschätzt wird, dass also das Wohlbefinden der Deutschen, ihr Zusammenhalt und ihre Lebensperspektiven viel stärker von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen als sie vermuten. Doch auf dem Weg zu einer kritisch-vorurteilsfreien Wirtschaftsberichterstattung scheinen noch Steine zu liegen. Psychologen des Rheingold-Instituts haben gerade ermittelt, dass Journalisten sich bei Wirtschaftsthemen oft als Korrektiv sehen und ihre Berichte färben. Warum? Weil sie Wirtschaft als Übermacht empfinden und in ihren Köpfen noch analoge Bilder von Wirtschaft sind („Das Bild der Wirtschaft aus Perspektive von Journalisten“ 9/2013).

Die diesjährige Stellungnahme der IHKs zur Entwicklung der Wirtschaftsberichterstattung stützt sich auf Studien, Medienbeobachtung und die Auswertung von über tausend Wirtschaftsbeiträgen, die zum Ernst-Schneider-Preis, der seit 43 Jahren von den Industrie- und Handelskammern gestiftet wird, eingereicht wurden.

I Fernsehen

Neue Formate von RTL und WDR, exzellente Reportagen aus der Serie „Zoom“ im ZDF und aufsehenerregende Magazinbeiträge vorwiegend in der ARD: Wer im Programm sucht, findet gute Wirtschaftsbeiträge.

Der Wirtschaftsjournalismus scheint seinen Tiefpunkt nach der nicht prognostizierten weltweiten Finanzkrise überwunden zu haben. So sahen Zuschauer bereits ein dreiviertel Jahr vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Warnungen vor Beteiligungen an der Windkraftfirma Prokon, zum Beispiel „Windige Versprechen“ (HR). Das spricht für Kompetenz in den Redaktionen, die bei Wirtschaftsthemen notwendig ist. Es zeigt aber auch wie problematisch es ist, Absolventen der Wirtschaftswissenschaften vom Volontariat auszuschließen, wie derzeit beim ZDF üblich.

Zahlreiche gute Beiträge analysieren die deutsche Energiewende, unter anderem „Experiment Energiewende – Deutschlands einsame Revolution“ (ZDF/ARTE). Deutlich auch der Zeitbezug bei Beiträgen wie „Zugriff! – wenn das Netz zum Gegner wird“ (ARD/HR). Beiträge wie „Flucht in die Karibik – Die Steuertricks der Konzerne“ (ZDF) und „Steuerfrei – Wie Konzerne Europas Kassen plündern“ (WDR) lösten politische Debatten aus. Die Reportagen schildern wie multinationale Firmen Gewinne und Steuern zu Lasten der Gesellschaft und ihrer mittelständischen Konkurrenten minimieren, eine Praxis, die mittlerweile die EU untersucht. Gute Wettbewerbsbeiträge beschreiben, was die Gesellschaft bewegt, zum Beispiel Fehlsteuerungen in der Medizin. Der „Krankenhaus-Report – Wo Medizin Kasse macht“ (ARD/HR) analysiert die Frage wie viel Markt die Gesundheit verträgt und welche Auswirkungen Fallkostenpauschalen haben können. Gesellschaftlich relevant sind die „Macht der Ratingagenturen“ (ZDF) und „Staatsgeheimnis Bankenrettung“ (ARTE/rbb), beides ebenso exzellente Reportagen wie „Tödliche Deals – Deutsche Waffen für die Welt“ (ZDF). Dass Wirtschaft tief in den Alltag der Zuschauer hineinreicht, zeigen Beiträge wie „Oh Tannebaum – die Jagd nach der Nordmanntanne“ (Servus TV), „Deutschland deine Pizza“ (NDR) und „Kundenarbeit – die unbezahlte Dienstleistung“ (3Sat): Im Urteil der Juroren Beiträge, die vorbildlich vermitteln wie die Wirtschaft sich unablässig verändert.

Die besten kurzen Beiträge des Wettbewerbs um den Ernst-Schneider-Preis kamen in diesem Jahr von der ARD. Die Jurys lobten Magazinbeiträge über die eingeschränkte Aussagekraft von Zertifikaten bei der Textilherstellung (WDR), zum boomenden Milchexport nach China (SWR), über die Ausbildungsbereitschaft von Jugendlichen (MDR) und – einmal mehr – über wachsende Gefahren des Datenmissbrauchs („Cyberwar“, BR).

Trotz dieser guten Beispiele ist der Wirtschaftsanteil in der Gesamtschau des Programms nicht hoch. Eine Aufwertung wäre angesichts der Relevanz, die Wirtschaft für die Gesellschaft hat, angemessen. Dies gilt auch für die Wirtschaftsendung des Ersten. „Plus­minus“ steht im Schatten des Programms. Die Sendung fällt oft aus – allein elf Mal im vergangenen Jahr. Zum Vergleich: Als am Sonntag, 4. August 2013, keine „Lindenstraße“ ausgestrahlt wurde, war dies der dritte Ausfall der ARD-Soap in 28 Jahren. „Plusminus“ setzen Fußball, Ferien, Feiertage und Eventprogrammierung zu.

Zwar widmen die beteiligten Plusminus-Redaktionen erfreulicherweise den größten Teil der Sendezeit Wirtschafts­themen (Programmanalyse des IFEM-Institut in Media Perspektiven 5/2014), doch gewinnen im Vergleich zum Vorjahr alltagsnahe Verbraucherthemen und Kriminalitäts­themen an Bedeutung. In „WiSo“ (ZDF) dominieren alltagsnahe Verbraucherthemen. Klassische Wirtschaftsthemen liegen an zweiter Stelle, verlieren aber ebenfalls zugunsten von Kriminalitätsthemen an Sendezeit.

Und neue Formate? Auch die gibt es. Der „Markencheck“ des WDR war eine solche Innovation. Doch seit dem Erfolg, den die Sendung auch in der ARD feierte, scheinen die Programmverantwortlichen in Checks aller Art Einschaltquotengaranten zu sehen. Im laufenden Programm „checkt“ der „Marktcheck“ des SWR im Südwesten sogenannte Topmarken. Und ab August checkt die ARD in einer „großen Verbraucherinitiative“ (Programmdirektor Volker Herres) erst Marken (WDR), dann Recht (SWR), anschließend Lebensmittel (NDR mit Tim Mälzer), danach Haushalt (WDR) und schließlich Gesundheit (BR). Damit aber nicht genug. 2015 dürfen sich die Zuschauer auf den „Montags-Check im Ersten“ in folgenden Kategorien freuen: „Werbe-Check“ (SWR), „Reise-Check“ (SR) und – gewissermaßen ein Scheck-Check – der „Geld-Check“ in der Verantwortung von BR und HR. Durch die Klonsendungen fällt im ARD-Programm am Montagabend um 20.15 Uhr der Dokusendeplatz Natur weg. 2010 strich die ARD am gleichen Tag um 21.00 Uhr bereits den Sendeplatz für Reportagen.

Ob die Checks dem Bedürfnis der Zuschauer nach Orientierung Rechnung tragen? Es geht origineller: Den Juroren fiel beim Ernst-Schneider-Preis 2014 das WDR-Format „Gegen den Strich“ auf, das als größerer Block in der Sendung „markt“ gesendet wird. Hier überraschen die Autoren die Zuschauer mit unkonventionellen Ideen. „Massentierhaltung – ja bitte“ hieß zum Beispiel ein ebenso nachdenklicher wie unterhaltsamer Film über Tierhaltung, in dem Argumente als Rap gesungen wurden. Ebenfalls vom WDR stammt „Auf den Punkt“, ein Format aus dem Frühstücksfernsehen der ARD. In ihm erklärt der Autor in zwei Minuten Wirtschaftsbegriffe in Alltagssprache. Das Setting in einer aufgelassenen Fabrik, die unkonventionelle Erzählweise sowie die gute Grafik machen diese Folgen sehenswert. Informativ war auch „Wie geht´s Deutschland? (ZDF), eine Spurensuche mit anschließender Diskussion.

Bei Phoenix hat Wirtschaft einen hohen Stellenwert, 3sat setzt Akzente (Themenwoche „Hauptsache Konsum“, „Die Macht der Märkte“), auch n-tv berichtet kontinuierlich und zuverlässig über Wirtschaft. Große Privatsender wie RTL und Sat.1 zeigen Wirtschaft, zum Beispiel in ihren regionalen „Fensterprogrammen“, in denen nach Feststellung des Instituts für Medienforschung Göttingen und Köln die Berichterstattung an inhaltlicher Substanz gewonnen hat. RTL West war mit überzeugenden Magazinstücken zu nordrhein-westfälischen Wirtschaftsthemen im Wettbewerb vertreten. Im Abendprogramm wagte sich RTL an ein Format, das „Was verdienst du?“ heißt. In dieser Dokusoap teilen sich Mitarbeiter und Inhaber die Höhe ihrer Gehälter mit. Daraus entwickelt sich in den Unternehmen ein Prozess, bei dem über Sinn und Wert von Arbeit und Leistung gesprochen wird. RTL produziert daneben die Serie „Undercover Boss“ und macht mit dem „Team Wallraf“ viel gesehene Undercover-Reportagen. Das vor einem Jahr ausgegebene Versprechen, RTL stärker journalistisch zu positionieren, wurde mit „Nicht mit uns – die große Schnäppchenlüge“ und „Raus aus der Rentenfalle“, in dem Peter Zwegat den Zuschauern erklärt, was sie tun müssen, um im Alter nicht in die Altersarmut abzurutschen, eingelöst.

 

II Hörfunk

Die Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Radioprogramm sind zumeist hörbar. Die Sender bedienen die Bedürfnisse der Hörer nach Information und Unterhaltung. Insgesamt ist der Informationsanteil der kommerziell betriebenen Stationen deutlich niedriger. Dies geht besonders zulasten tendenziell erklärungsbedürftiger Wirtschaftsinformationen. Hier ist das Angebot dünn. So überrascht es kaum, dass – anders als im Fernsehen – sich kein privater Sender am Wettbewerb beteiligte. Dabei hätten besonders die großen Sender oder Senderverbünde wie Radio NRW, Antenne Bayern, FFH und R.SH Möglichkeiten eigene Angebote zu entwickeln. Ein Blick in Boulevardzeitungen gibt Hinweise, welche Wirtschaftsthemen leicht zu vermitteln sind.

In den Angeboten der ARD hören die Menschen Serien und Thementage, zum Beispiel am 11. September 2013 auf WDR 5 „Im Würgegriff der Banken – Fünf Jahre Finanzkrise“. Der Deutschlandfunk sendete im Juni 2014 den Themenschwerpunkt „Deutschland, deine Krankenhäuser“. Es ging um Fehlsteuerungen der Fallkostenpauschale, um Forschung, Demografie und Markt. Viele Sender produzieren großartige Feature, die ARD auch ein senderübergreifendes Radiofeature. Den Jurys gefielen unter anderem „Pacmans Enkel – Boombranche Computerspiele“ vom WDR und „Pieta Piëch“, ein kunstvolles „Dokumentarpassionsspiel“ des SWR. Die Probleme der vernachlässigten deutschen Verkehrsinfrastruktur bringt „Leverkusen ist überall“ exemplarisch auf den Punkt (DLF). „Schiefer, Sand und Supermärkte“ beschreibt wie neue Öl- und Gasquellen die Weltordnung verändern (BR).

Im Radio, so die Ansicht vieler Beobachter, gibt es Sendeflächen für ungewöhnliche Themen, was aber auch bedeutet, dass die Redaktionen – unbelastet vom Quotendruck des Fernsehens – sich trauen außergewöhnliche Themen aufzugreifen. Beispiele hierfür sind „Grüner Profit – die Biobranche zwischen Alternativrollen und Dumping­kapita­lis­mus“ (WDR), „Shoppen in China – Afrikanische Händler in Guangzhou“ (NDR) und „Handelseinig – DDR-Zwangsarbeit und die Verantwortung westdeutscher Firmen“ (BR). Dass dabei auch mit Erzählformen experimentiert wird, bewies „Gute Tante Arbeitsamt – Vom Leben einer Institution“ (NDR).

 

III. Print

Die Stärke der Zeitungen liegt darin, zwischen der ersten und der letzten Seite eine Zusammenfassung des Geschehens zu geben und Einordnung zu bieten; außerdem erfüllen Zeitungen die Bedürfnisse der Leser nach Überraschung. Im Vergleich der Medien sehen Chefredakteure und Ressortleiter bei Zeitungen und Zeitschriften in einer Befragung des Ernst-Schneider-Preis vom Mai 2014 unvermindert viel Potenzial. „Hintergrundberichterstattung“ und „Wirtschaftspolitik“ finden sie in Printtiteln am besten verortet. Noch mehr Journalisten als im Vorjahr (62 Prozent) erwarteten die Lokalberichterstattung vor allem in den Printmedien. Insgesamt halten die befragten Journalisten die Wirtschaftsberichterstattung in Deutschland überwiegend für gut – und denken dabei besonders an die Presse. Hier hat Wirtschaft ihr Nischendasein verlassen. Allerdings sagen drei von vier der Befragten, dass Journalisten noch zu wenig tun, um Wirtschaftsthemen ansprechend zu vermitteln.

Auf die Autoren der nachfolgenden Artikel trifft dies nicht zu. Ihre Beiträge ragen unter mehreren hundert Einreichungen zur Kategorie Print im diesjährigen Wettbewerb heraus, weil vieles zusammenkommt: Ungewöhnliche Erzählideen, neue Blickwinkel auf eine Thematik, besondere Recherchetiefe, Lesbarkeit auf mehreren Ebenen und eine Einbindung der Geschichte in größere Bezüge. Die Jurys lobten zum Beispiel „Schluss. Aus. Feierabend.“, einen Beitrag über den Sinn der Arbeit (KulturSPIEGEL) und „Warum muss Joy hungern?“, ein Zeit-Dossier über Zusammenhänge zwischen Weltmaisproduktion und Nahrungsmittelmangel. Bemerkenswert waren auch die Einblicke in die komplexen Abläufe der Deutschen Bahn in „Heute vom Gleis gegenüber“ und „Gnadenlos.com“, eine in große Zusammenhänge gestellte Amazon-Geschichte, die den radikalen Wandel des Handels analysiert (beide Spiegel). Die beste Serie zur vernachlässigten Verkehrsinfrastruktur erschien in der Welt am Sonntag und heißt „Die gebremste Republik“, die pointierteste Geschichte zur Energiewende druckte das Handelsblatt („Der Irrsinn der Energiewende“).

Spannend und verständlich wird Wirtschaft, wenn Autoren das Entstehen eines einzelnen Produktes schildern. Dies kann auch ein Film sein. In „Aufnahme läuft!“ (Zeit) verfolgen Leser, wie der Wettlauf zwischen dem Produzenten des teuersten deutschen Films und der globalen Videopiraterie, die die Refinanzierung gefährdet, verläuft. Ein Steak und ein „Golf“ sind die beiden Produkte, die Capital-Reporter auf dem Weg nach Europa beziehungsweise in die USA verfolgen – ein ebenso überraschender wie großartiger Blickwinkel zur Erläuterung des diskutierten Freihandelsabkommens. Wie global der Gesundheitsmarkt ist, schildert „Der libysche Patient“ (Welt am Sonntag); was die veränderten Arbeitszeiten für Folgen haben, las man in dem bewegenden Portrait einer Kita, die nicht schließt: „Vierzig Stunden in der Kita“ (F.A.Z.).

Die regionalen Tageszeitungen entwickeln zum Teil bemerkenswerte Serienideen, an denen sowohl die Konzepte als auch die einzelnen Themen überzeugen. Die Berliner Morgenpost titelte „Gründer Zeit“ und machte eine Serie zu Start-ups in der Hauptstadt; nicht weniger überzeugend die Folgen von „Gründer im Land Baden-Württemberg“ (Stuttgarter Zeitung). Originell erschien den Juroren die zehnteilige Serie „Patente – Münstersche Erfindungen – und was sie ihren Ideengebern brachten“ aus der Münsterschen Zeitung. Dass auch Regionalzeitungen globale Geschichten erzählen können, beweist das Hamburger Abendblatt mit der Serie „Hamburgs neue Gastarbeiter“. Mit dem aktuellen Thema der Zuwanderung greifen die Autoren ein zentrales Problem der Gesellschaft auf und binden Leser. Dies nennt der Zeitungsforscher Andreas Vogel in der kürzlich erschienenen Studie „Talfahrt der Tagespresse“ eine Voraussetzung für die Gesundung der Zeitungen: Zeitungsredaktionen müssen als „Kompetenzzentren der öffentlichen Kommunikation im Regionalen wahrgenommen werden“.

 

IV Internet

Den möglicherweise entscheidenden Geburtsfehler des Internet nennt der Computerwissenschaftler und Internetvisionär Jaron Lanier die One way-Verlinkung. Sie sei für die Kostenloskultur im Netz verantwortlich. Laniers These: Gäbe es Two-Way-Links, könnte also der Urheber sehen, was mit den Informationen geschieht, müssten Datensammler wie Google etwas bezahlen. Dass etwas falsch läuft in der Informationsökonomie, spüren zahlreiche Branchen, nicht zuletzt die etablierten Anbieter von Nachrichten. Zeitungsverlage, die ihre digitalen Ausgaben kostenlos ins Netz gestellt haben, führen nach und nach Bezahlmodelle ihrer elektronischen Ausgaben ein; in diesem Jahr werden es bereits hundert sein. Die großen Nachrichtenportale bleiben hingegen zumeist beim freien Zugang und setzen auf Reichweite und entsprechende Werbeerlöse. Auf eine neue Erlösquelle zielen Journalisten wie Krautreporter, die über crowdfunding Finanziers suchen.

Seiten mit guten Wirtschaftsinformationen bieten im Internet neben den etablierten Verlagen zahlreiche Ökonomie- und Meinungsblogs sowie die Websites der öffentlich-rechtlichen Sender, des Deutschlandfunks und der Deutschen Welle. Aus diesem Kreis setzen sich die Einreicher zusammen, die sich am Wettbewerb um den Ernst-Schneider-Preis mit interessanten Wirtschaftsgeschichten beworben haben. Thematisch geht es um den Strukturwandel in Deutschland „Stadt – Land – Mensch“, (DW.de), den Volksentscheid zum Berliner Tempelhofer Feld (Tagesspiegel) und „Transition towns“, (faz.de), um Spekulationsblasen (Zeitonline / explanity), den deutschen Mittelstand (n-tv und Welt online) und Enthüllungen „Finanzvertriebe packen aus“ (Handelsblatt). Zeit online testete das „crowd sourcing“ und bat seine Leser mitzuteilen, wie hoch ihre Dispozinsen sind. Aus den Antworten entwickelte die Redaktion eine Deutschlandkarte der Bankgebühren. Das Vorhaben zielt auf Leserbindung und auf Partizipation, beides entscheidende Faktoren im Onlinegeschäft. In die Geschichten eingebunden sind oft Bilder, Videos, weiterführende Links und Grafiken in unterschiedlicher Qualität. Manches ist großartig gestaltet wie eine Adidas/Puma-Geschichte in „Begleiter“ (SZ), anderes eher werkstattmäßig wie der über Google Hangouts geführte „WiWo Lunchtalk“ der Wirtschaftswoche. Schnelle Kommentare und Feedbacks der Leser spielen im Netz eine große Rolle.