Spardruck, Quote und der neue Blick aufs Gelungene

Stellungnahme zur Entwicklung der Wirtschaftsberichterstattung 2016

Nach unserer Beobachtung verändert sich die Wirtschaftsberichterstattung. Sie wird partiell besser und gleichzeitig in anderer Hinsicht schwächer. Dafür sind verschiedene Entwicklungen verantwortlich. Mit dieser Stellungnahme, die Anregungen der Industrie- und Handelskammern aufgreift, wollen wir Trends benennen und Anstöße zur Verbesserung der Wirtschaftsberichterstattung geben. Die Studie stützt sich auf Umfragen, Medienbeobachtung und die Auswertung von über tausend Wirtschaftsbeiträgen, die zum Ernst-Schneider-Preis 2016 eingereicht wurden. Die IHKs stiften diesen Preis seit 45 Jahren. Sie wollen, dass die Menschen wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen. Dieses Wissen ist für die Gesellschaft von Bedeutung. Es setzt eine breite und verlässliche Information voraus. Wir sehen verschiedene Entwicklungen:

  • Viele Redaktionen müssen sparen. Es fehlt teilweise an Recherchezeit; Expertise und Kontakte gehen verloren. Dies berichten zum Beispiel Regionalzeitungen. Manche ihrer Chefredakteure haben keine Kapazitäten mehr, um große Wirtschaftsserien ins Blatt zu nehmen. Analysen und langfristige Einschätzungen finden seltener statt. 75 Prozent der 158 befragten Journalistinnen und Journalisten bedauern in einer aktuellen Umfrage des Ernst-Schneider-Preis, zu wenig zu tun oder – mangels Ressourcen – tun zu können, um anspruchsvolle Wirtschaftsthemen zu vermitteln.
  • Emotionale Einzelfallbeschreibungen nehmen besonders im Fernsehen zu, weil sie die Aufmerksamkeit steigern. Oft ersetzen Fallbeispiele die Analyse. So wurde zum Beispiel die Flüchtlingskrise in weiten Teilen über erschütternde Einzelschicksale erzählt. Dieser Berichterstattung fehlte mitunter ein Blick auf Gesamtzusammenhänge. Da die Berichte anfangs Übergriffe und Probleme ausklammerten, empfanden viele Zuschauer die Berichterstattung als lückenhaft. Sie ließ Zuschauer aufgewühlt und verunsichert zurück. Die Berichterstattung wurde dank einer besseren Einordnung der Vorgänge mit der Zeit besser.
  • Welche Relevanz das Fehlen ausgewogener Berichterstattung hat, konnte man in Großbritannien beobachten. Über Jahre haben populäre Medien wie „Daily Mail“, „Sun“, „Daily Express“, „Daily Telegraph“ und „Daily Star“ Emotionen schürend über die EU berichtet und Stimmung für den Brexit gemacht (Reuters Studie 5/2016). In keinem andere Mitgliedsland wissen die Einwohner so wenig über die EU wie in Großbritannien (Bertelsmann Stiftung 4/2016). Nach Ansicht der „Economist“-Chefredakteurin Zanny Minton Beddous hat die emotionale Berichterstattung eine wichtige Rolle beim Votum für den EU-Ausstieg gespielt.
  • Journalisten, und damit auch Programmverantwortliche, unterschätzen tendenziell die Bedeutung von Wirtschaft für die Gesellschaft. Dies sagen 62 Prozent der vom Ernst-Schneider-Preis befragten Journalisten. Vier von fünf Befragten sind der Meinung, dass wirtschaftliche Themen besonders im Fernsehen zu wenig Sendezeit finden. Wird über Wirtschaft berichtet, geschieht dies überwiegend unter nutzwertigen Aspekten der Verbraucherberichterstattung. Doch auch die immer wieder neu zu justierenden Spielregeln der Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik benötigen ausreichend Programmplätze. Bundespräsident Joachim Gauck: „Die Soziale Marktwirtschaft braucht informierte Bürger, die selbstbewusst am Wirtschaftsleben teilnehmen“.
  • An einem Teil der Bevölkerung geht zurzeit jede Wirtschaftsberichterstattung vorbei. Das Kölner Rheingold Institut schätzt, dass sich nur noch 50 bis 60 Prozent der Deutschen in den Leitmedien zu Hause fühlen. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat sich in die sozialen Echoräume des Internets zurückgezogen. Über Facebook und Twitter sortieren sie vor, was in ihr Weltbild hineinpasst. So dringt aus dem täglichen Nachrichtenstrom nur das durch, was die eigenen Ansichten und Interessen bestätigt. Manche Nutzer leben teilweise in einer „Filter Bubble“ – sicherlich eine der großen gemeinsamen Herausforderungen.
  • Gleichzeitig leisten Rechercheverbünde und große Titel Herausragendes zur Information ihrer Leser. „Swiss Leaks“, „Luxemburg Leaks“, „Panama Papers“ sind Beispiele eines neuen, international arbeitsteiligen Wirtschaftsjournalismus, der globale Themen wie Steuervermeidung und Steuermoral aufgreift und politisches Handeln auslöst.
  • Und schließlich scheint sich der Blickwinkel zu öffnen. Der Blick der Journalisten geht öfter als früher auf das Gelungene. Neben der Kritik an den Zuständen und dem Fehlverhalten Einzelner zeigen mehr Wirtschaftsbeiträge als bisher das Realisierte. Die Berichterstattung über Start ups („Made in Berlin“, rbb) und die Gründershow von Vox „Höhle der Löwen“ sind Beispiele für diesen Trend. Zu nennen sind auch journalistisch gelungene Firmenportraits; die besten kamen in diesem Jahr vom SWR. Optimistische Websites wie „perspective-daily.de“ sind entstanden, die ein ausgewogenes Weltbild vermitteln wollen. Am deutlichsten wird der Trend durch eine neue Rubrik im Nachrichtenmagazin Spiegel. Sie heißt „Früher war alles schlechter“ und zeigt den langfristigen Fortschritt zum Beispiel in der Armutsbekämpfung, der Kinderarbeit, im Umweltschutz oder in der Medizin.

Die Entwicklung im Einzelnen

I. Fernsehen

Aus der Perspektive der Wirtschaft war „Die Höhle der Löwen“ von Vox die Überraschung des Jahres. Die Show erhielt im Herbst 2015 den Ernst-Schneider-Preis, weil sie den Zuschauern das sperrige Thema „Existenzgründung“ spielerisch und gleichzeitig sehr anschaulich erschloss. An der Staffel sind verschiedene Dinge bemerkenswert: Der anhaltende Publikumserfolg, der bei Vox umso höher einzustufen ist, als Vox mehr Frauen als Männer schauen und Frauen mit Wirtschaftsthemen schwerer zu erreichen sind, die mutige Programmierung auf 20.15 Uhr, die Auswahl interessanter Protagonisten und Geschäftsideen sowie die Leichtigkeit, mit der ohne Berührungsängste über Umsätze, Renditen und Gründereigenschaften gesprochen wurde.
Unter den Privatsendern gelang auch RTL mit „Team Wallraff“ ein Erfolg. Die gut recherchierte Reportage über die Qualität von Schulessen gelangte in die Schlussjury. Ansonsten wird im Programm des größten Privatsenders vergleichsweise wenig über Wirtschaft und wenig über Politik berichtet. Ein Wirtschaftsmagazin findet man bei keinem der großen privaten Sender, weder bei RTL, noch bei Sat.1, Pro7 oder Vox.

Der Anteil der Wirtschaftsinformationen in den Hauptnachrichten schwankt je nach Sender und Format. Fünf Prozent der Themen in der Tagesschau sind Wirtschaftsthemen. Bei RTL sind es drei Prozent. Am Abend steigt der Wert: Bei den Tagesthemen (ARD) auf acht, beim heute journal (ZDF) auf neun Prozent (Ifem Institut).

Die meisten Wirtschaftsbeiträge sendete der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Auch im Aktuellen und in unterhaltenden Formaten greifen Redaktionen wirtschaftliche Themen auf. In der Gesamtschau gab es hervorragende Dokumentationen und Reportagen. Die Juroren lobten unter anderem den Afrikafilm „Der Glanz der Schattenwirtschaft“ (BR), „Das Märchen von der Elektromobilität“ (ARD, BR), den TTIP-Film „Wohlstand für alle“ (ARD, SWR), die Dokumentation über den chinesischen Immobilienmarkt „Ausländer bevorzugt“ (ARTE / WDR), den globalen und sehr erhellenden Blick auf die chinesische Schifffahrtspolitik „Chinas Macht auf dem Meer“ (3Sat, ZDF), das Mittelständlerportrait von ebm-papst „Prima Klima“ (SWR), den Mehrteiler „Wem gehört der Osten?“ (MDR) und „Deine Arbeit, Dein Leben!“, eine Dokumentation des WDR, die aus vielen Hundert Videos der Zuschauer montiert ist.

Die Leistungsstärke des öffentlich-rechtlichen Fernsehens könnte zu noch mehr Wirtschaftsbeiträgen führen. An manchen Tagen verdichtet sich jedoch den Eindruck, dass einer guten Quote ein wichtiger Inhalt untergeordnet zu werden scheint. Wolfgang Herles, der langjährige ZDF-Journalist, hat über den Konflikt zwischen Reichweite und Programmauftrag interessante Gedanken geäußert. In „Die Gefallsüchtigen“ beklagt er, dass Nachrichtensendungen wie Konsumartikel behandelt würden und Redakteure wie Produktmanager dächten, ihre Leistung sogar an den Quoten gemessen würde. Herles, der mit beeindruckenden Portraits über Ferdinand Piech und Rolf Breuer zwei Ernst-Schneider-Preise gewann, wählt für seine Programmkritik ein drastisches Bild: „Würde man ein Krankenhaus nach ähnlichen Prinzipien und Werten führen, würden die Risikopatienten mit höherer Mortalitätswahrscheinlichkeit in den Warteraum geschoben, während man sich mit Hingabe Schnittwunden und Sonnenbränden widmen würde.“ Er schlägt eine regelmäßige „Seite Drei“ vor, also prominent platzierte Dokumentationen und Reportagen über die Gesellschaften und Ökonomien in den Ländern Europas, über die Zustände in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, über die Digitalisierung und die großen globalen Prozesse.
Die Programmplaner scheinen zu befürchten, dass anspruchsvolle Themen zu viele Zuschauer zum Umschalten bewegen können. Daher setzen sie gerne auf leichter konsumierbare und meist quotenstärkere Verbraucherthemen. Als am Montag, 30. Mai 2016, auf einem Gipfeltreffen in Berlin die Politik Soforthilfen von 100 Millionen Euro für deutsche Milchbauern ankündigte, wäre dies eine gute Gelegenheit gewesen, um über den Milchmarkt, die Gründe des Preisverfalls von Milch sowie Sinn und Wirkung von staatlichen Hilfen zu berichten. Die Wirtschaftssendung WISO (ZDF) warb an diesem Tag mit der Schlagzeile: „Heute in WISO: Teuer oder billig – MarkenKonfitüre oder Discounter-Aufstrich?“

Auch die Europaberichterstattung ließe sich ohne Weiteres verbessern. Ihre Beiträge haben oft hohe wirtschaftliche Relevanz. Im vergangenen Jahr wurden zwei Beiträge des Brüsseler Studios für den Ernst-Schneider-Preis nominiert. Doch das sonntägliche „Europamagazin“ fällt im Winter regelmäßig wegen Wintersportübertragungen aus. Insgesamt produzierte der WDR, der im wöchentlichen Wechsel mit dem SWR für das „Europamagazin“ verantwortlich ist, im Dezember 2015, im Januar, Februar, März und Juni 2016 jeweils nur eine Sendung. Besonders unverständlich ist die Programmentscheidung vom 26. Juni 2016: Drei Tage nach der historischen Brexit-Abstimmung, zudem der Tag der mit Spannung erwarteten spanischen Parlamentswahl, sendete die ARD statt des „Europamagazins“ einen Lauf der Deutschen Tourenmeisterschaft. Der vorangehende „Presseclub“ hatte mit dem Thema Brexit mit 9,8 Prozent eine besonders hohe Quote. Eine Themenvertiefung des „Europamagazins“ wurde den Zuschauern vorenthalten. Die ARD schrieb in einer Pressemitteilung: „Die gerade beendete Wintersport-Saison 2015/16 hat beim Fernsehpublikum erneut großes Interesse ausgelöst. Durchschnittlich 2,43 Millionen Zuschauer verfolgten die Übertragungen im Ersten“.
Unter den kleineren Sendern hat n-tv die umfangreichste Wirtschaftsberichterstattung und produzierte unter anderem eine Serie zu Gründern („Wirtschaftsfaktor Startups“). Der Nachrichtensender berichtete eingehend über den VW-Skandal, über die Griechenlandkrise und sendete eine Branchenportraitreihe „Das Geschäft mit .. Veganern, .. der ewigen Jugend, .. dem Tod“. Phoenix bietet ebenfalls viele Wirtschaftsinformationen. In den Tagen während und nach der Brexit-Abstimmung produzierte der Bonner Ereigniskanal 50 Stunden Sondersendung. Auch im Fernseh-Programm der Deutschen Welle finden Zuschauer informative Stücke, zum Beispiel die Reihe „Wirtschaftsregionen in Deutschland“ und Filme aus Europa wie „Ohne Zukunft: junge Menschen im Kosovo“.

II. Hörfunk

Die Radionutzung in Deutschland steigt. Drei von vier Personen schalten täglich das Radio ein und hören jeden Tag durchschnittlich 190 Minuten (Media Analyse Radio II). Das Radio ist Tagesbegleiter, Unterhaltungsmedium und Informationsquelle. Wirtschaftliche Informationen sind nach Ansicht von Journalisten dabei jedoch deutlich unterrepräsentiert. In der Umfrage des Ernst-Schneider-Preis, an der sich 158 Journalisten beteiligten, sagten 71 Prozent, dass Wirtschaftsthemen im Hörfunk nicht genügend Platz finden. Dieser Wert ist seit Jahren unverändert hoch und deutet auf ein grundsätzliches Manko hin. Gut bedient werden Hörer bei den Informationswellen. Der Deutschlandfunk ist hier Marktführer. Ihn hören mittlerweile täglich 1,6 Millionen Menschen, weil sie verlässliche Informationen und die Kommentierung des Tagesgeschehens schätzen.

Trotz dieser Einschränkung gab es auch im zurückliegenden Jahr herausragende Produktionen. Viele Radiobeiträge des Wettbewerbs um den Ernst-Schneider-Preis dokumentieren auf hohem Niveau Zeitgeschichte („NRW Industrien im Wandel“, WDR), analysieren problematische Strukturveränderungen „Outlet everywhere – Der Handel kannibalisiert sich weiter“ (WDR) und widmen sich neuen Entwicklungen wie „Robot Economy“ (BR) oder auch „Internet der Dinge – Gefahren und Chancen der digitalisierten Welt“ (DLF). Hörer können bei diesen Sendungen viel erfahren und viel lernen. Den Juroren gefielen darüber hinaus nachdenkliche und ideologiefreie Feature wie „Die Waffen einer Stadt – Heckler & Koch in Oberndorf“ (SWR), große Portraits wie „Das Ende der Siemens-Familie“ (BR), unterhaltende und dennoch informative Sendungen wie „Panzerfahren für Papi – Das Geschäft mit den Erlebnisgeschenken“ (DLF) und lebensnahe Wirtschaftsreportagen wie „Abgebrannt – Vom schwierigen Neustart einer Holzhausfirma“ (BR).
Zu nennen ist hier auch das ARD-Radiofeature „Switch off Shanghai!“ (NDR), das auf raffinierte und spannende Weise die Gefahren von Cyberattacken durchspielte. Großes Echo löste auch eine crossmedial aufbereitete und beworbene Sendung unter den Hörerinnen und Hörern aus. Das Feature hieß „Fahrradklau – Von Diebesbanden und Bügelschlössern“ (WDR) und untersuchte die wirtschaftlichen Folgen des täglichen Diebstahls von annähernd tausend Fahrädern in Deutschland. Die Autoren statteten Testräder mit GPS-Sendern aus, befragten Experten und gaben praktische Sicherheits-Tipps.

Zwei Beiträge hielten die Juroren für besonders innovativ, beide kamen vom WDR. „Deine Arbeit, Dein Leben – Probezeit!“ ist eine Dokumentation der täglichen Arbeit in Nordrhein-Westfalen, erstellt aus zahllosen Einsendungen von Hörern. „Let‘s Play VW-Skandal“ und „Let‘s Play Griechenland Manager“ sind Glossen, ironisch überhöhte Beiträge, deren Besonderheit darin liegt, das auf Youtube bei Jugendlichen erfolgreiche „Let‘s Play“ – Genre zu parodieren.

III. Print

Neu ist die Transparenz, die einige Blätter zeigen. Sie treten damit dem Vorwurf mangelnder Objektivität und Ausgewogenheit entgegen. In der „Zeit“ stehen seit November 2015 unter größeren Geschichten häufiger Kästen, die über die Entstehung des Artikels informieren. Giovanni Di Lorenzo, Zeit-Chefredakteur, sagt dazu: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Leute gar nicht mehr vorstellen können, dass wir beispielsweise für eine Geschichte fünfmal an einen Ort fahren.“

Eine Quelle, 400 Journalisten, ein Jahr Arbeit. Was die Leser der Süddeutschen Zeitung über Geldströme erfuhren, die von einer panamaischen Anwaltskanzlei gesteuert wurden, war aufsehenerregend. Die Unterlagen waren von NDR, WDR und SZ mit internationalen Medienpartnern ausgewertet worden. Sie zeigen, welche Kraft Rechercheverbünde entfalten können. Im Wettbewerb 2016 lobten Juroren die vergleichbaren „Swiss Leaks“, eine journalistische Aufbereitung der Schweizer Dokumente der HSBC, die zeigen, wie Geld vor Steuerbehörden versteckt wurde.

Leser finden im Vergleich zu anderen Medien in Zeitungen und Zeitschriften besonders viele Wirtschaftsthemen. Das Angebot empfinden auch Journalisten als ausreichend. Sie erwarten nach der Umfrage des Ernst-Schneider-Preis auch in Zukunft, dass Printtitel das Genre sind, wo Rezipienten am ehesten hintergründige Wirtschaftsgeschichten und Artikel zur Wirtschaftspolitik finden werden.

Viele solcher großartiger Reportagen bewerteten Juroren im Ernst-Schneider-Preis 2016. In Erinnerung bleiben die Geschichte aus der „Zeit“ über die Schwierigkeiten der Deutschen Bank „Sie nennen es Sterbehaus“, die Analyse der Energieerzeugung „Atomkraft? Nie wieder!“, Handelsblatt, und ein wunderbares Portrait eines Frankfurter Einzelhändlers, der in Zeiten des Onlinehandels mit Beratung und Kundennähe überlebt („Laden und Sein“, FAZ). Es gab Artikel, die neue Fragen stellen, zum Beispiel die, wie sich Flüchtlingsströme finanzieren („Die Geldverschicker“, Die Zeit) oder ethische Fragen aufwerfen wie in „Der Preis des Überlebens“, taz, wenn Tabletten eines Medikaments gegen Hepatitis C ein kleines Vermögen kosten. Die beste Überschrift fand Capital zu den Abgasproblemen von Volkswagen. Sie lautete: Die „Auto-Immunerkrankung“.

Viele Flüchtlingsgeschichten standen in Zeitungen, darunter abwägende und historische Vergleiche bemühende Beiträge, die Möglichkeiten der Integration über Arbeit und ihre Kosten thematisierten. Auch mehrere Regionalzeitungen boten trotz der eingangs genannten Kapazitätsprobleme gute Artikel. Den Juroren fielen die Stuttgarter Nachrichten auf, die in „Nordwärts“ ein Jahr lang junge Italiener begleiteten, die vom Klinikverbund in Stuttgart angeworben wurden und eine Ausbildung durchlaufen. Besonders gelungen waren auch die grafisch und faktenreich überzeugende Darstellung „So viel Region steckt in einem Airbus 380“ der Aachener Zeitung, die Einzelhandelsgeschichte „Starker Handel, Starke Städte“ aus der Braunschweiger Zeitung und die Serie „Zukunft der Arbeit – Arbeit der Zukunft“ der Mittelbayerischen Zeitung. Eine innovative Idee realisierte der Kölner Stadt-Anzeiger. Er machte eine Ausgabe seiner Zeitung weiblich, nannte das Blatt „Kölner Stadt-Anzeigerin“ und stellte erfolgreiche Frauen vor, die den Leserinnen Mut machen sollten beruflich mehr auszuprobieren.

IV. Internet

Die Welt ist voller negativer Nachrichten – aber bilden sie die Welt ab? Im August 2015 schrieb „Spiegel Online“-Chefredakteur Florian Harms, er wolle in Zukunft mehr Artikel veröffentlichen, die auch bei düsteren Themen einen Aspekt aufzeigen, der Hoffnung macht und eine andere Perspektive aufgreift. Die Website zu dieser Sichtweise heißt www.ourworldindata.com. Sie liefert Daten gegen ein übertrieben negatives Weltbild, über das der Oxford-Ökonom Max Roser sagt: „Je gebildeter, desto pessimistischer“.

Auch die Website „Perspective Daily“, finanziert von 14.000 Menschen, will mehr tun, als wirtschaftliche Skandale aufzudecken. Die Seite gibt der Wissenschaft mehr öffentliches Gewicht. Nicht unwichtig in Zeiten, in denen die Algorithmen im Netz ein Problem erzeugen. Sie verstärken die Beachtung, die die populärsten Personen und Informationen erhalten. Je mehr bestimmte Informationen oben in den Trefferlisten von Google landen, desto stärker sinkt die Chance, dass andere Informationen überhaupt beachtet werden. Diese Erfahrung machten auch Journalisten, die einen ausgewogenen Beitrag zu TTIP realisieren wollten – sie fanden im Netz kaum Argumente pro Handelsabkommen.

Eine Reihe guter Wirtschaftsangebote ist im Internet entstanden. Zu ihnen gehört „Wir müssen mal reden“, ein Videoblog von Markus Gürne. Der ARD-Börsenstudioleiter erklärt in einem Café gegenüber der Börse auf amüsante und anschauliche Art Wirtschaftsthemen, wobei ihm Kaffeebecher schon mal als Ölstaaten dienen. Den Juroren gefiel ein Angebot auf Youtube, das sich an jugendliche Nutzer wendet. Es heißt „Was ich noch nie über Wirtschaft wissen wollte“ von MESH Collective. Szenebekannte Youtuber informieren in kurzen Clips über wirtschaftliche Phänomene. Exzellente Beiträge realisiert die Wirtschaftswoche, darunter aufwändig produzierte Seiten wie „Menn oder Maschine“, die den Stand der Robotertechnik in unterhaltsamen Selbstversuchen zeigte.

Andere Angebote zielen auf eine Beteiligung der Leser, zum Beispiel „Virtuelle Redaktion für Sparkassen-Recherche“, Correctiv. Das Handelsblatt schilderte in „Tatort Volkswagen“ minutiös, wie es zum größten Industrieskandal der Nachkriegsgeschichte kam und verknüpfte damit das Angebot, den Text mit Leserinnen und Lesern fortzuschreiben. Auch „Krautreporter“ bemüht sich über soziale Medien und offene Teams User in die „Recherche-Community“ einzubeziehen.
Ein anderer Trend ist die Gamification. Sie will dem Leser durch spielerische Elemente Informationen vermitteln wie in „Falcianis Swiss Leaks – Der große Bankdatenraub“. Der Leser soll nach jedem Absatz Fragen beantworten, zum Beispiel wie er sich an Stelle des Whistleblowers Falcianis verhalten hätte. Als eine Mischung aus Videospiel und Journalismus werden newsgames bezeichnet. Sie sind im englischsprachigen Raum beliebt (zum Beispiel „Cutthroat Capitalism“ von Wired). Ein deutsches Beispiel von newsgames/gamification bietet der Beitrag vom SWR über „Die Geschichte des Südwestens“ (Episode „Industrialisierung“). Er ist grafisch ansprechend und hochwertig gestaltet, urteilte die Vorjury und glaubt, dass solche Art von gamification an Bedeutung gewinnen könn-ten.

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