Vielfältig, differenziert, ausgefallen

Stellungnahme zur Entwicklung der Wirtschaftsberichterstattung 2017

Die Wirtschaft verändert sich. Die Arbeit verändert sich. Der Blick auf die Wirtschaft wird offener. Gründergeschichten haben Konjunktur. Gleichzeitig gewinnen Fragen der Unternehmenskultur, der Nachhaltigkeit und Gemeinwohlorientierung an Bedeutung. An Wirtschaftsthemen, die die Republik bewegen und das Land verändern, besteht 2017 kein Mangel. Die über tausend Beiträge, die zum Ernst-Schneider-Preis eingereicht wurden, zeigen die Vielfalt. Die Einreichungen thematisieren Automatisierung und Vernetzung, Dieselaffäre, Zukunft der Elektromobilität, Bedrohung durch Cyberangriffe, Boom der Biolebensmittel, Wandel der Energieerzeugung und Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt.

So vielfältig und differenziert die Wirtschaftsberichterstattung ist, so ungleich verteilt sie sich auf die Medien. Gut informiert ist, wer Zeitungen liest. Eher einseitig informiert ist, wer nur soziale Medien nutzt, deren Stärken Emotion und Gleichzeitigkeit sind; gemeinnützige, soziale und transnationale Bewegungen gebrauchen sie für wirkungsvolle Kampagnen. Und eher wenig über Wirtschaft informiert ist, wer überwiegend private Sender sieht und hört. Die Wirtschaftsberichterstattung ist schnell Verlierer, wenn aufwändige Recherchen anfallen oder Reichweiten entscheiden. Umso wichtiger, dass öffentlich-rechtliche Sender ihren Informationsauftrag erfüllen. Doch auch bei ihnen sind Wirtschaftsmagazine oft Verlierer in der senderinternen Abwägung zwischen Informationsauftrag und Wunsch nach Einschaltquote. Journalistinnen und Journalisten benannten in einer großen Online-Umfrage des Ernst-Schneider-Preis (230 Antworten) weitere Probleme: Wirtschaftliche Themen würden im Haus unterschätzt, die Redaktionen seien zu klein, die Sender stellten nicht ausreichend Sendefläche zur Verfügung. Wie attraktiv und anschaulich sich Wirtschaft vermitteln lässt, wenn gute Ideen umgesetzt werden, bewiesen die ARD mit ihrer Themenwoche „Zukunft der Arbeit“ und Vox mit der Gründershow „Höhle der Löwen“, die in der dritten Staffel Quotenrekorde aufstellte.

Mit dieser Stellungnahme, die Anregungen der Industrie- und Handelskammern aufgreift, wollen wir Entwicklungen benennen und Anstöße zur Verbesserung der Wirtschaftsberichterstattung geben. Die Studie stützt sich auf Umfragen, Medienbeobachtung und die Auswertung der Wirtschaftsbeiträge, die zum Ernst-Schneider-Preis 2017 eingereicht wurden. Die IHKs stiften diesen Preis seit 46 Jahren. Sie wollen, dass die Menschen wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen. Dieses Wissen ist für die Gesellschaft von Bedeutung. Es setzt verlässliche Informationen voraus.

Fernsehen

2017 hat die ARD das „Jahr der Information“ ausgerufen. Der Slogan „Das Erste – wenn es wichtig wird“ drückt den Anspruch aus. Diesem Ziel wird die ARD bei der wöchentlichen Wirtschaftssendung „Plusminus“ nicht immer gerecht. „Plusminus“ fällt im Jahr der Information so häufig aus, dass von Regelmäßigkeit nicht mehr gesprochen werden kann. Im ersten Halbjahr lief die Sendung in 26 Wochen nur 16 Mal, davon am 12. April erst kurz vor Mitternacht, mithin nur 15 Mal zum regulären Termin mittwochs um 21.45 Uhr. Die ARD ersetzte das Wirtschaftsmagazin durch Dokumentationen, die thematisch zum Fernsehfilm um 20.15 Uhr passten („Event“), sie zog die Talkshow „Maischberger“ vor und sie übertrug Fußballspiele, selbst wenn diese für den jeweiligen Wettbewerb wenig relevant waren und Spiele, die ohne deutsche Beteiligung stattfanden. Ähnlich wie bei den vielen Ausfällen des Europamagazins wegen Wintersportübertragungen (Stellungnahme 2016) schlägt die Erwartung höherer Einschaltquote die Vermittlung von Information.

Die „Ausfall-Bilanz“ von „Plusminus“ im ersten Halbjahr 2017 liest sich so: Am Mittwoch, 4.01.2017 entfiel die Sendung wegen eines „Feiertagsprogramms“, am 8.2. wegen DFB-Pokal Achtelfinale, am 22.2. wegen Eventprogrammierung „Katarina von Bora“, am 1.3. wegen DFB-Pokal Viertelfinale, am 22.3. wegen des Länderspiels Deutschland-England, am 5.4. wegen Eventprogrammierung „Gorch Fock“, am 26.4. wegen DFB-Pokal Halbfinale, am 17.5. wegen Eventprogrammierung „Gefährliche Medikamente“, am 21.6. wegen der Doku „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden“, am 28.6. kurzfristig wegen „Sportschau-Club“ nach dem Confed Cup-Spiel Portugal-Chile. Dieser Erosionsprozess von „Plusminus“ hat negative Folgen für das wirtschaftliche Wissen der Zuschauer. Er beschädigt die Marke „Plusminus“, senkt die Zuschauerbindung, erschwert die redaktionelle Planung und nimmt den Wirtschaftsautorinnen und -autoren Jobs. Ein möglicher statistischer Zugewinn an Einschaltquote wiegt diese Nachteile nicht auf.

In großen Abständen sendet die ARD monothematische Ausgaben „Plusminus extra“ und zeigt, wozu das Magazin in der Lage ist. Die viertelstündigen Beiträge, im März 2017 zu Schlecker (SWR), im Mai 2017 zur Deutschen Bank (HR), waren faktenreich und enthielten exklusive Interviews, die wirtschaftliche Zusammenhänge verdeutlichten.

Mit der auf allen Wellen ausgestrahlten Themenwoche „Zukunft der Arbeit“ stieß das Erste im November 2016 einen Diskurs über die Veränderungen der Arbeitswelt durch die Digitalisierung an. Das von HR, RB und SR vorbereitete Programm bot allen Zuschauergruppen einen umfassenden, journalistisch oft großartig gemachten Einblick in wirtschaftliche Prozesse. Da die ARD ihr Korrespondentennetz nutzte, erfuhren die Zuschauer auch wie unterschiedlich Zukunftsvorstellungen rund um den Globus sind. Mehrere Beiträge wie „Faktor Menschlichkeit – Was macht Unternehmen erfolgreich?“ fielen in den Jurys des Ernst-Schneider-Preises positiv auf.

Die Juroren weisen regelmäßig auf den Aspekt der Glaubwürdigkeit der Medien in Zeiten von Fake News hin. Gerade die privilegierten öffentlichen-rechtlichen Medien müssten mehr denn je sicherstellen, dass die von ihnen verbreiteten Informationen umfassend, klar und richtig seien. Dies gelte besonders für wirtschaftliche Informationen, weil viele Menschen den raschen Veränderungen der Wirtschaft durch Digitalisierung und Globalisierung unvorbereitet und skeptisch gegenüber stehen. Sorgfalt und Kompetenz der Berichterstattung setze Fachredaktionen und Fachleute voraus – während der Trend vielfach zu journalistischen „Allroundern“ gehe, deren Kompetenz in der Vermittlung liege.

Glaubwürdigkeit heißt auch weniger Alarmismus in der Darstellung. Die Titel der Wirtschaftsbeiträge sind im Fernsehen mittlerweile martialisch und marktschreierisch formuliert. Sie heißen „Schlachtfeld Internet“, „Tierfabrik Deutschland“, „Giftmüll für den Wohnungsbau“, „Im Land der Lügen“. In der ARD-Media­thek empfehlen seit kurzem Redakteure im besten „Jerry Cotton“-Ton („Wir lieben knallharte Dokumentationen ….“) „Gift – Politthriller über gepanschte Medikamente“, „Nackt im Netz – intime Details von Politikern im Handel“, „Der unsichtbare Feind – tödliche Supererreger aus Pharmafabriken“ und „Wir hacken Deutschland“. Zu viele Fernsehbeiträge sind nach dem Schema Gut, Böse, Emotion aufgebaut. Autoren bekommen Formatierungsempfehlungen und beklagen mitunter das „Tremolo der Aufgeregtheiten“, zu dem sie angehalten sind.

Eine andere Beobachtung zielt auf die Balance der Berichterstattung. Redaktionen greifen aus dramaturgischen Gründen in vielen Formaten „Fälle“ auf, also Geschichten, deren Spannung daher rührt, dass sie Konflikte oder Probleme beinhalten. Die Geschichten drehen sich um Fehler und Fehlentwicklungen der Wirtschaft. Derartige Berichte sind in einer Demokratie notwendig, gleichwohl führt die Fokussierung auf „Fälle“ wahrscheinlich dazu, dass Zuschauer Wirtschaft konfliktreicher und problematischer erleben, als sie in der Realität ist.

Zu kurz kommt die Perspektive der Wissensvermittlung. Während es für Kinder „Logo“ und „Die Sendung mit der Maus“ mit faszinierenden Sachgeschichten gibt, fehlen vergleichbare, spannend gemachte Erklärstücke für Erwachsene. Dabei hat das Fernsehen hier große Stärken, ein Beispiel ist „Terra X“ (ZDF). Hier werden historische und technische Entwicklungen, aber auch Archäologie und Physik in großen Geschichten aufbereitet und ebenso attraktiv wie erfolgreich den Zuschauern vermittelt. Auch wirtschaftliche Sendungen sind denkbar, die Phänomene erklären oder Probleme lösen.

Trotz dieser Mängel bieten öffentlich-rechtliche Fernsehsender eine große thematische Bandbreite an Wirtschaftsthemen. Der Infomonitor des IFEM Instituts belegt, dass die Wirtschaftsberichterstattung eine Domäne der Öffentlich-Rechtlichen ist. Das gilt auch für die Nachrichtensendungen. Im Vergleich der Nachrichten lag 2016 das „heute-journal“ (ZDF) bei Wirtschaft vorn. Im Schnitt widmete das „heute-journal“ Wirtschaftsthemen acht Prozent Sendezeit, die „Tagesthemen“ sieben, „RTL aktuell“ drei, die „Sat.1 Nachrichten“ vier Prozent. Die Wirtschaftsberichterstattung erreichte im April 2016 anlässlich der Panamapapers, des VW-Abgasskandals und der Kontroversen um TTIP ihren Höhepunkt. Bei den Wirtschaftsmagazinen konzentrierte sich die ARD stärker auf klassische Wirtschaftsthemen (76 Prozent), beim ZDF („WiSo“) überwogen Verbraucherthemen (47 Prozent), ermittelten Forscher für die Media Perspektiven 6/2016. „WiSo“ wird anders als „Plusminus“ regelmäßig ausgestrahlt und enthält auch aktuelle wirtschaftspolitische Stücke. Privatsender profilierten sich durch Regionalmagazine der Fensterprogramme mit ihrem Mix aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Justiz. Unter den Talkshows, die oft Wirtschaftsthemen aufgreifen, lag „Anne Will“ (ARD) mit durchschnittlich 4 Millionen Zuschauern vor „Hart aber fair“ (ARD) mit 3,1 Millionen und „Maybrit Illner“ (ZDF) mit 2,6 Millionen Zuschauern.

Eine ganze Reihe von Reportagen und Dokumentationen des vergangenen Jahres waren herausragend. Die Juroren lobten aufgrund ihrer Recherchen, ihrer Darstellung und Verständlichkeit unter anderem „Deutschlands große Clans – Die C&A Story“ (ZDF), „Das Märchen vom sauberen Auto“ (SWR), „PanamaPapers – Im Schattenreich der Offshorefirmen“ (NDR/WDR), „Whistleblower – Allein gegen das System“ (Deutsche Welle), „Einsame Spitze – Top Manager am Limit“ (NDR), „Milliarden für Millionäre – Wie der Staat unser Geld an Reiche verschenkt“ (WDR), zudem aus der NDR-Reihe „45 Min“ den „VW-Krimi“, „Mode schlägt Moral – Wie fair ist unsere Kleidung“ (WDR) und „Die Lachs-Industrie“ (NDR). Zahlreiche gute Firmenportraits von Mittelständlern, viele von SWR („Made in Südwest“) und HR, bereicherten das Programm, zum Beispiel „Zuflucht aus Beton – Die Flüchtlingshilfe des Martin Hachmeister“ und exzellente Magazinstücke wie „Minuszinsen“ und „Gesetzliche Rente rentabler als private Vorsorge“ (beide HR). Die Wissenschaftssendung „Quarks & Co“ gab kluge Antworten auf die Frage „Wie geht TTIP?“, der BR produzierte einen sehenswerten „Geld-Check im Ersten“ zur Rente, der HR einen guten „Geld-Check“ zur Preisbildung. Ausgiebig widmete sich das Fernsehen dem Silicon Valley. Vox sendete am 15. Oktober eine abendfüllende, vierstündige Gründer-Dokumentation „Hightech oder Hölle – Leben im Silicon Valley“, das ZDF „Schöne neue Welt: Wie Silicon Valley unsere Zukunft bestimmt“. Die Brexit-Berichterstattung war ein weiterer Schwerpunkt im Programm. „Makro“ (3sat), thematisierte „Europa nach dem Brexit“.

Die privaten Sender n-tv und N24 zogen 2016 mehr Publikum an. Auf diesen Kanälen werden Nachrichten, Live-Berichterstattung, Dokumentationen und Wirtschaftsreportagen gesendet, speziell bei n-tv, das angekündigt hat seine Nachrichten noch einmal auszuweiten. Kabel eins produzierte die Erfinder-Reportage „New Made in Germany“. Phoenix, das traditionell einen hohen Anteil an Wirtschaftsberichterstattung hat, strahlte neben vielen Diskussionen eine Reihe interessanter Dokus aus.



Wirtschaftsthemen sehen Zuschauer auch in Unterhaltungssendungen. Auch hier bildet sich Meinung, womit eine große redaktionelle Verantwortung verknüpft ist. Nehmen Sender sie ausreichend wahr? „Tödliche Geheimnisse“ (ARD, ORF) kündigte die ARD so an: „Der Thriller um das umstrittene Freihandelsabkommen macht greifbar, welche Gefahren für Demokratie, Verbraucherschutz und viele Lebensbereiche von TTIP ausgehen.“ Die mitspielende Katja Riemann äußerte sich über den Film so: „Die Diktatur der Wirtschaft ist so umfassend und versucht alles, um als agierender Diktator nicht sichtbar zu sein.“ Die Film-Kritik der Süddeutschen Zeitung fand das verantwortungslos: „Ein Akteur darf das Handelsabkommen TTIP unwidersprochen so zusammenfassen, Europa handele sich Hormonfleisch und Genfood ein, um etwas Läppisches wie einheitliche Autoblinker zu bekommen. … Das Drehbuch basiert laut Sender auf detailreichen Recherchen … zwei Anti-TTIP-Aktivis­tinnen und ein TTIP-Gegner der Grünen waren ‚Fachberater‘.“



Vox thematisiert Wirtschaft in der Unterhaltung als großes Spiel und hat damit einen enormen Zuschauerzuspruch. Der Sender stellte mit der dritten Staffel seiner Gründershow „Die Höhle der Löwen“ im Herbst 2016 mehrere Quotenrekorde auf und beweist damit, dass anspruchsvolle Themen in ideenreicher Aufbereitung ein großes Publikum finden können. Am 18. Oktober 2016 schauten 3,3 Millionen Menschen zu, als Gründer neue Geschäftsideen präsentierten. Die Quote betrug 11,3 Prozent, der Marktanteil der jüngeren Zuschauer stieg auf fast 20 Prozent.

An den Erfolg dieser Sendungen will ProSiebenSat.1 anknüpfen. Der Sender kündigte Mitte 2017 eine Show um Erfinder und Entwickler an, die Stefan Raab produzieren wird. Die Show ist als Duell konzipiert und soll „Das Ding des Jahres“ heißen.



Hörfunk

Verschiedene Sender setzten mit Wirtschaft Akzente im Programm. Besonders gelungen war neben der ARD-Themenwoche die zwölfteilige Featureserie des SWR „Die teilende Gesellschaft“. Juroren hielten das Konzept für herausragend. Thematisiert wurden unter anderem die Entstehung des Wirtschaftssystems in Jäger- und Sammlergesellschaften Namibias und in Bauerngesellschaften Kenias sowie die Kommerzialisierung des Teilens in den USA.

„Ich mach mein Ding“ heißt eine große Wirtschaftsserie des WDR, die zwei Jahre lang fünf Start-Ups aus verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens begleitet. Die Gründerserie ist trimedial angelegt. Eine andere attraktiv gemachte Serie einer großen populären Welle, die ins Ohr ging, war das „Handwerker ABC“ des Südwestrundfunks. Die 11-teilige Serie lief auf SWR 3.

Andere Sender entwickelten neue Wirtschaftsformate. Der Deutschlandfunk produziert das „Erklärwerk Wirtschaft“. Die zweiminütigen Beiträge legt der Sender in seiner Mediathek ab. Daraus entsteht ein nützliches Archiv der Wirtschaftsbegriffe. Hier kann man sich über den „Ifo-Geschäftsklimaindex“ oder die „Fed“ kundig machen. Ebenso nützlich sind die Erklärungen, die die NDR Info Wirtschaftsredaktion in klassischen 1´30 Minuten gibt. Das Format heißt „Wirtschaftslexikon“ und übersetzt Fachbegriffe wie „Kapitalverkehrskontrollen“, „Schuldenschnitt“ oder „Squeeze-Out“. Der rbb schildert in „Apropos Wirtschaft“ einen wöchentlichen Hintergrund zu aktuellen Wirtschaftsentwicklungen in Deutschland, Berlin und Brandenburg. In den 15-minütigen Reportagen kommen Macher, Analysten und Verbraucher zu Wort.

Seit dem vergangenen Jahr produziert das private Internetradio detektor.fm einmal monatlich eine einstündige Sendung zur aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins brand eins. Gespräche mit den Autorinnen und Autoren sollen die Recherchen verdeutlichen und einen persönlichen Eindruck von den Geschichten geben. Die monothematischen Sendungen lassen sich als Podcast abonnieren oder bei verschiedenen Audio-Plattformen hören. Das Konzept belegte zeitweilig Platz 1 der deutschen iTunes Podcast Charts.

Zum besten Podcast des Jahres wurde von Apple iTunes die Serie „Der talentierte Mr. Vossen” von NDR Info gekürt. Zuschauer hörten in sieben Folgen von jeweils 20 Minuten, welchen Weg der schillernde Aktienhändler und Filmproduzent Felix Vossen nahm. Für das Projekt arbeiteten die NDR Radiokunst, in der Features und Hörspiele entstehen, und die investigative Rechercheredaktion des Senders zusammen.

Feature der öffentlich-rechtlichen Sender informieren in hoher Qualität, gelegentlich auch besonders aufwändig im „ARD-Radiofeature“. Im Unterschied zum Fernsehen tragen diese Wirtschaftssendungen keine schrillen Titel. Den Juroren gefielen unter anderem „Produktionsstandort Deutschland ist wieder in“ (NDR), „Die Festplatte auf Rädern: Welche Daten das Auto sammelt – und verrät“ (DLF), „Arbeit 4.0 – Die Zukunft von Handwerk und Industrie“ (SR), „Abschied vom Faktor Mensch“ (NDR), „Leuna – Ein Schicksal aus Chemie“ (MDR), „Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in der Zukunft“ (WDR), „Sex sells – Wie weibliche Unlust zur Krankheit wurde” (DLF) und „Von wegen autofrei! Mobilität in Bayern“ (BR).

Wirtschaft spielt auch in Unterhaltungssendungen des Radios eine Rolle, wo sie manchmal gut recherchiert und amüsant hinterfragt wird, wie in der Satiresendung „Hintergrund Deluxe“ (WDR). Themen waren zum Beispiel die Mietpreisbremse, das CO2-neutrale Weihnachten und privatisierte Autobahnen.

Print

79 Prozent der vom Ernst-Schneider-Preis im Mai 2017 befragten Journalisten sagten, dass das Angebot an Wirtschaftsthemen bei Zeitungen und Zeitschriften – anders als bei Fernsehen und Hörfunk – ausreichend sei. Hier finden Leser die meisten und oft besten Hintergrundgeschichten, exzellente wirtschaftspolitische Beiträge und viel lokale Wirtschaftsberichterstattung.

Die journalistische Aufarbeitung zweier Ereignisse ragte im letzten Jahr heraus. Die „VW-Affäre“ um die manipulierten Dieselantriebe, in der besonders „Bild am Sonntag“ sehr früh, verständlich und wiederholt berichtete, und die „Panama Leaks“. Die Panama-Papiere sind vertrauliche Unterlagen des Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca, die neben legalen Strategien der Steuervermeidung auch Steuer- und Geldwäschedelikte enthüllten und eine Debatte über Steuermoral ausgelösten. Die Süddeutsche Zeitung stellte in einer großen Serie die Zusammenhänge dar und brach die Geschichte auf Deutschland herunter.

Als Reaktion auf verbreitete, aber oft unwahre Unterstellungen entwickelte die ZEIT 2017 „Fakt oder Fake“. Das verständlich geschriebene Erklärformat beantwortete zum Beispiel die Frage, ob Griechenland durch Schulden ruiniert wird oder ob Deutschlands Exportüberschuss andere Länder ausbeutet. Auf die zunehmende Nationalisierung in den USA, Großbritannien und im Osten Europas reagierte die Süddeutsche Zeitung im April 2017 mit der Serie „Globalisierung am Ende?“

Im vergangenen Jahr brachten Rheinische Post und Lübecker Nachrichten eigene Wirtschaftszeitungen heraus. Auch die FAZ wurde regionaler und konzipierte das Wirtschaftsmagazin „Frankfurter Allgemeine Metropol“. Damit folgten sie anderen Blättern, die ihr Angebot in der Region diversifizieren.

Gründergeschichten gab es viele. Zwei Projekte ragten heraus. Das Hamburger Abendblatt sorgte mit einer monatelangen Begleitung einer am Ende gescheiterten Existenzgründung („Mein erster Laden“) für Aufsehen und viel Anteilnahme unter den Lesern. Komplexe Vorgänge der Gründung, der Finanzierung und der Kalkulation wurden in dieser Serie packend und anschaulich dargestellt. Die Volontäre des Bonner Generalanzeigers realisierten ein vergleichbar großes Projekt. Sie setzten zahlreiche regionale Schwerpunkte mit ihrer Serie „Bonn macht erfinderisch“.



Den Juroren des Wettbewerbs gefielen Portraits von Mittelständlern, zum Beispiel über Dirk Rossmann „Ich wollte einfach, dass endlich genug Geld da ist“ (Hannoversche Allgemeine Zeitung), Portraits über Deutschlands Familienunternehmen in der Wirtschaftswoche und besonders die rechercheaufwändigen Geschichten von künftigen Marktführern „Champions von morgen – Neue Technologien krempeln ganze Branchen um“, die im Spiegel zu lesen sind.

Große Themen waren die Nahrungsmittelproduktion, zum Beispiel „Das Märchen vom billigen Essen“ (Stern) und die immer effektivere Milcherzeugung. Zeit und Stern thematisierten sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln in „Die Milchmaschine“ (Die Zeit), „Kuh 2665 – Die 100.000-Liter-Maschine“ (Stern). Mehrere Artikel widmeten sich der Pleite des größten Agrarkonzern Europas, KTG Agrar, besonders anschaulich in „Der Größenwahn des Siegfried Hofreiter“ (FAZ). Kluge Fragen der Machtbalance zwischen Unternehmen und Staat stellte anhand von Löhnen und Immobilienpreisen der Artikel „Die armen Kinder vom Silicon Valley“ (ZEIT). „Die Enteignung des Privaten“, Welt am Sonntag, kreiste um die Frage, wem das digitale Erbe gehört. „Das Tochter-Unternehmen“, Capital beschrieb den ungewöhnlichen Weg einer Gründerin, die tödliche Krankheit ihrer Tochter in einem Biotechunternehmen aufzuarbeiten. Viele Geschichten beschäftigten sich mit den Folgen künftiger E-Mobilität. So fragten die Stuttgarter Nachrichten „Das E-Auto kommt, doch wo bleiben die Jobs?“. Migranten und ihre Integration in den Arbeitsmarkt standen im Mittelpunkt von Themenseiten und Serien, unter anderem in „Die Fachkräfte von Irgendwann“, Hamburger Abendblatt, und „4 Flüchtlinge auf dem Weg in ein neues (Berufs-) Leben“, Mittelbayerische Zeitung. Eine große und anrührende deutsch-deutsche Geschichte um enttäuschte wirtschaftliche und politische Erwartungen druckte die Sächsische Zeitung. Sie hieß „Verlorene Heimat“.



Internet



Im Internet herrscht Überfluss, auch Überfluss an Wirtschaftsinformationen, doch viele Nutzer sind mit der Fülle überfordert. Es fehlt eine journalistische Einordnung der Fakten, denn nicht das, was wichtig ist, erhält erhöhte Aufmerksamkeit, sondern das, was Emotionen auslöst. Zahlreiche Nutzer nehmen Informationen selektiv wahr. In den sozialen Medien flüchten sie sich zudem in Selbstbeobachtung. „Jeder ist mit jedem jederzeit im Gespräch und redet doch meistens nur mit sich“ (Volker Weidemann, Spiegel). Soziale Medien verstärken außerdem Ängste. Der Sozialpsychologe Harald Welzer sieht eine Hysterisierung der Kommunikation: „Wo früher 20 Prozent der Menschenfeinde, die eine Gesellschaft hat, kommunikativ unter sich blieben, können sie sich heute so äußern, dass sie von 80 Prozent wahr- und von 50 Prozent ernst genommen werden, darunter wiederum von 100 Prozent der politischen Eliten und etablierten Medien“.

Attraktiv und nutzwertig aufbereitete Wirtschaftsthemen finden gleichwohl Leser. Dies ergibt sich aus der von Meedia im April zusammengestellten Liste der besten Einzelverkäufe von Artikeln bei Blendle. Blendle ist ein Onlinekiosk aus den Niederlanden, über den einzelne Beiträge bezogen werden können. Im April zahlten die meisten Leser für verschiedene Berichte über die Start-up Szene in Berlin (Tagesspiegel und Business Punk) und für Artikel zur Geldanlage (Welt am Sonntag und Stern). Auch guter Erklärjournalismus ist gefragt. So wurde zum Beispiel „Endlich verständlich“ von SpiegelOnline zum Brexit bis September 2016 neun Millionen Mal aufgerufen.

Aus den Beiträgen des Wettbewerbs um den Ernst-Schneider-Preis ragten hervor: „Paketzusteller – Vorurteile und Wahrheit“ von N-Joy, dem Jugendprogramm des NDR. Der Beitrag thematisierte den Onlinehandel. Bemerkenswert war, dass der Sender mit zehn Sekunden langen Snapchat-Videos experimentierte, die nach 24 Stunden erlöschen. Wie vernetzte Alltagsgeräte Router, Handys oder Webcams die Privatsphäre beeinträchtigen, zeigte Sueddeutsche.de im „Krieg im Netz der Dinge“. Eine aufwändige und sehenswerte Internetproduktion ist „Monopoly der Weltmeere“ von ARTE.tv. / ZDF. Sie beschreibt wie Staaten sich die Meere aufteilen, um Fisch, aber auch Bodenschätze wie Öl, Gas, Metall zu fördern. Diese Beiträge nutzen die multimedialen Möglichkeiten der Onlinemedien. Auch „Hannovers Wasserstadt: So entstehen 1800 Wohnungen“ ist hier zu nennen, ein spannendes Projekt der HAZ-Volontäre.

Onlineredaktionen erklärten das Erlösmodell der Musik „Was ist uns Musik noch wert?“ (BR), recherchierten Mobilitätsentwicklungen „Kopenhagen zeigt der Welt, wie man Fahrrad fährt“ (Wirtschaftswoche), stellten zusammen, welche Ärzte wie viel Geld für Studien von der Pharma-industrie erhielten „Euros für Ärzte“ (Correctiv / Spiegel Online), blickten auf „20 Jahre T-Aktie“ zurück (Boerse.ARD.de), machten Mut für einen beruflichen Aufbruch „Alles auf Anfang: Mit 50+ einen beruflichen Neustart wagen“ (perspective daily) und erklärten das Wirtschaftseinmaleins in „Cash – Boom – Crash“ mit den wichtigsten Ökonomen (WiWo).

Zwei Konzepte verdienen besondere Erwähnung: So veröffentlicht der NDR Nachrichten in leichter Sprache, darunter auch Wirtschafthemen. Ein Angebot für 14- bis 29-Jährige entwickelt „funk“. Das neue, junge Angebot von ARD und ZDF will informieren und unterhalten. Inhalte gibt es nur per App oder in den Sozialen Medien, dort wo junge Menschen online Inhalte konsumieren.

Den Juroren fiel auf, dass manche Angebote im Netz Zweitverwertungen von Sendern sind. Einige Seiten sind gesponsert. So unterstützt die Herz-Stiftung mit „Was ich noch nie über Wirtschaft wissen wollte“ (Mesh) ein Projekt, bei dem Youtube Stars Wirtschaft erklären. Die Bill & Melinda Gates-Stiftung förderte unter anderem Spiegel-Recherchen bei der „Expedition Übermorgen“. Darunter waren lesenswerte Auslandsbeiträge zu Solaranlagen „Vom Ende der Dunkelheit“ und „Stolze Kinderarbeiter“, bei denen Fragen zum Sponsoreneinfluss gestellt wurden.