Medienbrief 5/14

14-05-01Neun Mal bester Wirtschaftsjournalismus
Eine glänzend aufgelegte Maybrit Illner moderierte in der Media City Leipzig die Verleihung des Ernst-Schneider-Preis 2014. 400 Gäste waren im Studio, noch einmal 600 sahen den Livestream. Karola Wille, die Intendantin des MDR, Jan Metzger, Intendant von Radio Bremen, Michaela Kolster, Phoenix-Chefin und unter anderem Hans Leyendecker zeichneten die Gewinner in neun Kategorien aus.

In der Höhle des Löwen
Das Gründer-Format „Die Höhle der Löwen“ war ein Erfolg. Zwei Millionen Zuschauer sahen die achtteilige Staffel um 20.15 Uhr bei Vox. Dem Sender bescherte die Wirtschaftsshow einen überproportional großen Marktanteil. In der Sendung präsentierten Kandidaten ihre Geschäftsideen und gaben Einblicke in ihre Kalkulationen. Das lud zum Mitentscheiden ein und war spannend, denn die Investoren engagierten sich mit eigenem Geld.

„Schreiberling“ für junge Leser
Der 19-Jährige Simon Grothe will mit seiner Redaktion Tagesspiegel.de-Lesern die Welt seiner Generation näher bringen – und in Teilen auch mit bestehenden Klischees aufräumen. Der Blog des Tagesspiegel heißt „Schreiberling“. In ihm geht es um Politik, Konzerte, Filme und das Berliner Stadtleben. Autoren berichten von Auslandsreisen oder ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr. Unterstützt wird die junge Redaktion von Tagesspiegel-Redakteuren.

Tageszeitungen öfter digital
Immer mehr Leser beziehen ihre Tageszeitung als ePaper und lesen sie auf Tablet oder Handy. Die digitalen Auflagen aller Verlage wachsen – wenn auch von einer geringen Basis. Den größten Zuwachs verbuchten im letzten Jahr Die Welt, der Südkurier, die Rheinische Post und das Handelsblatt, wie das Medienmagazin Meedia ermittelte. Die Nummer 1 der ePaper heißt Süddeutsche Zeitung mit 30.000 verkauften Abonnements, fast gleichauf liegt die F.A.Z. vor Bild. Stärkste Regionalzeitung ist der ePaper-Pionier sh:z. Die schleswig-holsteinische Zeitungsgruppe verkauft 21.000 Abos.

Der Ernst-Schneider-Preis twittert
Der Ernst-Schneider-Preis ist ab sofort unter www.twitter.com/espreis auf dem Mikro-Blogging Dienst Twitter zu finden. Getwittert werden Links zu aktuellen Pressemitteilungen, Informationen zum laufenden Wettbewerb und zur Preisverleihung sowie Hinweise auf interessante Berichterstattungen im Wirtschaftsjournalismus. Wir laden alle Twitter-Nutzer ein, uns unter @espreis zu folgen.14-05-02


Was WISO kostet

Das ZDF hat die Kosten seiner Sendungen veröffentlicht. Pro Fernsehfilm, von denen jedes Jahr hundert produziert werden, entstehen Kosten von 1,4 Millionen Euro. Talkshows kosten bis zu 107.000 Euro. Für die Sport-Berichterstattung wendet das ZDF 227 Millionen Euro im Jahr auf. Vergleichsweise preiswert ist die Produktion des Wirtschafts- und Verbrauchermagazins „WISO“. Jede Sendung kostet 105.000 Euro.

Ein Land im Stillstand
14-05-03Günter Ederer, mehrfach mit dem Ernst-Schneider-Preis ausgezeichneter Journalist, hat mit Gottfried Ilgmann „Deutschland im  Stau“ ge­schrieben. Das Buch belegt den Verfall der Infrastruktur und rechnet nach, was das tägliche Verkehrschaos kostet. (Berlin-Verlag 19,99 Euro)

 

Unternehmen in Bewegung
14-05-04Die ehemalige Handelsblatt-Journalistin Petra Blum hat ein faszinierendes Buch über die Antworten geschrieben, die Unternehmen auf den gesellschaftlichen Wandel geben. „Mitarbeiter motivieren  und  Kunden  begeistern“ (Haufe-Verlag 29,95 Euro) nennt Beispiele, gibt Tipps, ist informativ und obendrein unterhaltsam.

 

Globales digitales Handelsblatt
Seit Anfang September gibt es eine Global Edition des Handelsblatt, die mit 20 Mitarbeitern in Berlin produziert wird. Die digitale Zeitung erscheint montags bis freitags um sechs Uhr New Yorker Zeit. Das ePaper wendet sich an ein internationales Publikum, das sich für die deutsche Wirtschaft, die Politik der Bundesregierung sowie die währungspolitischen Beschlüsse der Europäischen Zentralbank interessiert. Eingeführt wird die US-Ausgabe zum Jahres-Abo-Preis von 149,99 Euro.

Neue Netzgeschichten
2010 gründeten Xavier Damman und Burt Herman das Portal storify.com. Die Seite sammelt anhand von Suchbegriffen Informationen von Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram oder YouTube. Die Inhalte lassen sich thematisch zu Geschichten bündeln und können um eigene Texte ergänzt werden. Nach eigenen Angaben hat die Seite über eine Million Nutzer, darunter die BBC. In Deutschland gehören unter anderem „Bild“ und „Rhein-Zeitung“ zu den Nutzern.

Digitaler Journalismus
Die Landesanstalt für Medien (LfM) in Nordrhein-Westfalen hat die Studie „Digitaler Journalismus“ vorgelegt. Die Kernsätze lauten:

  • Nie hatten Journalisten und Redakteure intensiveren Publikumskontakt.
  • Kürzere Texte machen noch keinen mobilen Journalismus aus.
  • Soziale Netzwerke dienen dem Marketing, ergänzen den regulären Vertriebsweg und schaffen Community.
  • Das Publikum wird den Journalismus nicht ersetzen, da der Großteil der Nutzer nie dauerhaft in eine Produzentenrolle schlüpfen wird.
  • Sortierender, einordnender Journalismus bleibt unentbehrlich – obwohl Medien ihre frühere Informations- und Deutungshoheit verlieren und sich sogenannte Content-Parallelwelten herausbilden.

Radioplayer.de geplant
140 private Sender bereiten einen bundesweiten Radio-Onlineplayer vor. Initiator Hans-Dieter Hillmoth (FFH) verspricht Nutzern, den Radioempfang auf mobilen Geräten so einfach wie möglich zu gestalten. Eine Beteiligung der ARD mit ihren rund 80 Haupt- und Sonderprogrammen wird angestrebt. Mit radioplayer.de versucht die Branche nach englischem Vorbild eigene Marken intensiver zu nutzen. Im Netz konkurrieren Sender mit Streaming-Angeboten privater Plattformen, Musik-Diensten wie Spotify und Deezer sowie Musikkonzernen.

Ernst-Schneider-Preis 2015 ausgeschrieben

Preissymbol

Einsendeschluss des IHK-Wettbewerbes: 22. Januar 2015

Der Ernst-Schneider-Preis – Journalistenpreis der deutschen Wirt­schaft – lädt mit seiner 44. Ausschrei­bung Autorinnen und Autoren zum Wettbe­werb um die besten Wirtschaftsbeiträge ein. Bis zum 22. Januar 2015 können Redaktionen Bei­träge einreichen. In den einzelnen Kategorien stehen Preise von insgesamt 52.500 Euro zur Verfügung. Gestiftet von den Industrie- und Handels­kammern (IHKs) zeichnet der Preis in Fernsehen, Hörfunk, Internet und Print jährlich Jour­na­listen aus, deren Beiträge beispielhaft Wissen um wirtschaftliche Vorgänge und Zusammen­hänge vermit­teln. Die Beiträge müssen aus dem Jahr 2014 stammen. Aus­schreibungs­unter­lagen sind im Inter­net unter www.ernst-schneider-preis.de/ausschreibung-2015 abrufbar.

Mit dem höchstdo­tierten Preis im Wirt­schaftsjournalismus wollen die IHKs das Wissen um wirt­schaftliche Zusammenhänge verbreitern und die Medien ermutigen, neue Schritte bei der Ver­mittlung von Wirtschaft zu gehen.

Der Preis ist nach dem früheren DIHK-Präsidenten, dem Unternehmer und Kunstmäzen Ernst Schneider benannt. Über die Ver­gabe ent­scheiden unabhängige Jurys, zusammen­ge­setzt aus jeweils drei Angehörigen der Medien und zwei Vertretern der Wirt­schaft. Die Preisverleihung findet am 20. Oktober 2015 in Hamburg statt. Ausrichter der Verleihung ist die Handelskammer Hamburg, die im kommenden Jahr ihr 350-jähriges Jubiläum begeht.

Preisverleihung 2014 in Leipzig

Im größten deutschen Wettbewerb für Wirtschaftspublizistik, dem von den Industrie- und Handelskammern (IHKs) ausgeschriebenen Ernst-Schneider-Preis, sind heute (6. Oktober 2014) die Preise verliehen worden. Maybrit Illner führte durch den Abend.

Näheres zu den Gewinnern und Links zu einigen der ausgezeichneten Beiträge finden sie unter den Preisträgern.

Download Pressemitteilung

Bedrohliche Bilder von Wirtschaft

Dschungel

Irgendwie hat man es geahnt. Die Deutschen hadern mit der Ökonomie, sie neigen zu Skepsis und haben eigenwillige Vorstellungen vom Funktionieren der Wirtschaft. Aber dass auch Journalisten ein Bild von Wirtschaft in ihren Köpfen tragen, das Fehlfarben aufweist, ist neu. Der Befund hat Folgen, weil Journalisten Meinungen prägen, und er überrascht. Bekennt sich der Berufsstand nicht immer zu Objektivität und Neutralität? Wollen wir nicht dem Ganzen gegenüber interessiert sein, uns nicht vereinnahmen lassen und der Wahrheit auf die Spur kommen?

Psychologen des Rheingold Instituts haben das journalistische Berufsethos hinterfragt und in tiefenpsychologischen Gesprächen das Bild entschlüsselt, das sich Journalisten von Wirtschaft machen. Der Befund lässt aufhorchen: Bei Wirtschaftsthemen verändern Journalisten ihre Einstellung. Sie ergreifen Partei und stellen sich tendenziell auf die Seite derer, die sie als schutzbedürftig empfinden. Journalisten sehen dafür einen gesellschaftlichen Auftrag. Sie sind Korrektiv und Gegengewicht und färben die Sicht auf die Wirtschaft.

Interessant ist auch was Journalisten unter Wirtschaft verstehen. In der Vorstellung der meisten Autoren scheint es zwei unabhängig voneinander existierende Wirtschaftswelten zu geben, eine kleine und eine große. Zu der „kleinen“ Wirtschaft gehören die täglichen Einkäufe, die Familienkasse, die Reparatur eines Handwerkers. Diese Welt ist intakt und überschaubar – aber journalistisch belanglos. Daneben existiert die Idee einer „großen“ Wirtschaft und sie ist anstrengend, verlangt einerseits Kompetenz, verspricht andererseits aber auch Macht und Einfluss. Die „große“ Wirtschaft trägt die Logos von Deutscher Bank, Amazon, Nestlé, Shell und Google. Diese Wirtschaft ist global und verwoben. Journalisten erleben sie als bedrohlich. In ihren Köpfen erscheinen die Vorstellung eines Dschungels, in dem dunkle Mächte herrschen und einer trockenen Wüste mit lebloser Materie. Diese Welt ist meist kalt, sie besteht aus Zahlen, ist abstrakt und kaum durchschaubar. Wer in diesem Umfeld berichtet, muss etwas Großes und Komplexes, einen Dschungel oder eine Wüste, begreifen und etwas Undifferenziertes und Nüchternes beleben. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, bei der die Autoren immer ein Scheitern riskieren. Angesichts der erdrückenden Komplexität der Themen erleben sich Journalisten als klein und ohnmächtig. Kein gutes Gefühl für Berichterstatter. Sie suchen Beispiele, um den als übermächtig erlebten Wirtschaftsbetrieb zu verkleinern und zu entmachten.

Die Studie, die der Journalistenpreis der deutschen Wirtschaft, der Ernst-Schneider-Preis, in Auftrag gegeben hat, zeigt, dass Journalisten, die über Wirtschaftsthemen berichten, eine Haltung haben. Sie wollen „mitspielen“, erklären oder korrigieren. Das Rheingold-Institut erkannte sechs typische Formen des Selbstverständnisses. Es gibt Hofberichterstatter (die die Nähe von Entscheidungsträgern suchen), Dramaturgen (die Themen spannend wie einen Krimi machen) und Lotsen (die Bürgern Serviceangebote unterbreiten). Journalisten können Weltverbesserer sein (die auf der Suche nach einer besseren Welt soziale Verwerfungen abschaffen möchten), Robin Hoods (die als Anwalt des kleinen Mannes für Benachteiligte kämpfen) oder Aufrührer (die die Verhältnisse mit Macht ändern wollen und Demontage betreiben).

Wie entstehen solche Perspektiven auf die Wirtschaft? Die Psychologen sagen, sie haben mit einer tiefsitzenden Skepsis, mit der „German Angst“ zu tun. Viele Deutsche verstehen die globale Wirtschaft nicht. Und vielen Journalisten fehlen nach Einschätzung der Befragten selbst Kenntnisse von wirtschaftlichen Zusammenhängen. Die Deutschen sehen ein einkommensmäßiges Auseinanderdriften von oben und unten, erleben Währungskrisen und kapitulieren vor Finanzprodukten. Ihr Vertrauen in die Wirtschaft schwindet. Sie suchen Schuldige. Tief im Inneren glauben sie, dass Gier ihnen schadet. Und Gier verknüpfen sie mit Wirtschaft. Daher eignen sich, so die Psychologen, nicht nur Banker, sondern das Thema Wirtschaft insgesamt als neues, gesellschaftlich akzeptiertes Feindbild.

Das ist, man ahnt es, zu kurz gesprungen. Wirtschaft ist für den Zusammenhalt und die Entwicklung der Gesellschaft von besonderer Bedeutung, ihr Funktionieren entscheidet über unsere Lebensperspektiven. Und die Wirtschaft verändert sich, sie ist in Bewegung, gerade jetzt, in Zeiten digitaler Umbrüche – das macht die Berichterstattung so wichtig und so spannend. Was für eine großartige Aufgabe für Journalisten – wenn sie aufklären, hinterfragen und ihren Beruf ernst nehmen.

Die 2013 verfasste Studie “Das Bild der Wirtschaft aus der Perspektive der Journalisten” können sie hier herunterladen (PowerPoint Vortrag als PDF).

Mehr Wirtschaft wagen

Stellungnahme zur Entwicklung der Wirtschaftsberichterstattung 2014

In der Tagesschau vom 11. Juni 2014 prallten zwei Welten aufeinander. Wütende Taxifahrer pro­testierten gegen die Wettbewerbsverzerrung der digitalen Start-ups Uber und WunderCar. Deren Gründer guckten ungerührt in die Kamera und sagten, dass die Welt sich gedreht habe. Per App. Ähnliche Erfahrungen wie die Taxifahrer machen die Hotelbranche mit Airbnb und die Buchhandlungen und -verlage mit Amazon. Die Liste ließe sich um Reisebüros, Zeitungen und Banken verlängern. Eine Welle technischer Durchbrüche verändert die Welt, getrieben von exponentiell wachsenden Datenmengen, immer leistungsfähigeren Computern und stetigen Entwicklungen der Robotik. Schon heute sind mehr Dinge mit dem Internet verbunden als es Menschen gibt. Auf allen Ebenen transformiert sich die Wirtschaft. Wir leben in Zeiten eines Umbruchs. Mehr denn je braucht es einen wachen Blick, Recherche und kluge Einordnung, kurzum: kundige journalistische Begleitung.

Die IHKs wünschen sich kompetente Berichte und sie wünschen sich mehr Wirtschaftsthemen – im Fernsehen und besonders im Radio. Hier liegt ein Defizit, auch zahlreiche Journalisten sehen es (Umfrage Ernst-Schneider-Preis 5/2014). Die befragten Ressortleiter und Chefredakteure sind nahezu unisono der Ansicht, dass die Bedeutung der Wirtschaftsberichterstattung für die Entwicklung der Gesellschaft deutlich unterschätzt wird, dass also das Wohlbefinden der Deutschen, ihr Zusammenhalt und ihre Lebensperspektiven viel stärker von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen als sie vermuten. Doch auf dem Weg zu einer kritisch-vorurteilsfreien Wirtschaftsberichterstattung scheinen noch Steine zu liegen. Psychologen des Rheingold-Instituts haben gerade ermittelt, dass Journalisten sich bei Wirtschaftsthemen oft als Korrektiv sehen und ihre Berichte färben. Warum? Weil sie Wirtschaft als Übermacht empfinden und in ihren Köpfen noch analoge Bilder von Wirtschaft sind („Das Bild der Wirtschaft aus Perspektive von Journalisten“ 9/2013).

Die diesjährige Stellungnahme der IHKs zur Entwicklung der Wirtschaftsberichterstattung stützt sich auf Studien, Medienbeobachtung und die Auswertung von über tausend Wirtschaftsbeiträgen, die zum Ernst-Schneider-Preis, der seit 43 Jahren von den Industrie- und Handelskammern gestiftet wird, eingereicht wurden.

I Fernsehen

Neue Formate von RTL und WDR, exzellente Reportagen aus der Serie „Zoom“ im ZDF und aufsehenerregende Magazinbeiträge vorwiegend in der ARD: Wer im Programm sucht, findet gute Wirtschaftsbeiträge.

Der Wirtschaftsjournalismus scheint seinen Tiefpunkt nach der nicht prognostizierten weltweiten Finanzkrise überwunden zu haben. So sahen Zuschauer bereits ein dreiviertel Jahr vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Warnungen vor Beteiligungen an der Windkraftfirma Prokon, zum Beispiel „Windige Versprechen“ (HR). Das spricht für Kompetenz in den Redaktionen, die bei Wirtschaftsthemen notwendig ist. Es zeigt aber auch wie problematisch es ist, Absolventen der Wirtschaftswissenschaften vom Volontariat auszuschließen, wie derzeit beim ZDF üblich.

Zahlreiche gute Beiträge analysieren die deutsche Energiewende, unter anderem „Experiment Energiewende – Deutschlands einsame Revolution“ (ZDF/ARTE). Deutlich auch der Zeitbezug bei Beiträgen wie „Zugriff! – wenn das Netz zum Gegner wird“ (ARD/HR). Beiträge wie „Flucht in die Karibik – Die Steuertricks der Konzerne“ (ZDF) und „Steuerfrei – Wie Konzerne Europas Kassen plündern“ (WDR) lösten politische Debatten aus. Die Reportagen schildern wie multinationale Firmen Gewinne und Steuern zu Lasten der Gesellschaft und ihrer mittelständischen Konkurrenten minimieren, eine Praxis, die mittlerweile die EU untersucht. Gute Wettbewerbsbeiträge beschreiben, was die Gesellschaft bewegt, zum Beispiel Fehlsteuerungen in der Medizin. Der „Krankenhaus-Report – Wo Medizin Kasse macht“ (ARD/HR) analysiert die Frage wie viel Markt die Gesundheit verträgt und welche Auswirkungen Fallkostenpauschalen haben können. Gesellschaftlich relevant sind die „Macht der Ratingagenturen“ (ZDF) und „Staatsgeheimnis Bankenrettung“ (ARTE/rbb), beides ebenso exzellente Reportagen wie „Tödliche Deals – Deutsche Waffen für die Welt“ (ZDF). Dass Wirtschaft tief in den Alltag der Zuschauer hineinreicht, zeigen Beiträge wie „Oh Tannebaum – die Jagd nach der Nordmanntanne“ (Servus TV), „Deutschland deine Pizza“ (NDR) und „Kundenarbeit – die unbezahlte Dienstleistung“ (3Sat): Im Urteil der Juroren Beiträge, die vorbildlich vermitteln wie die Wirtschaft sich unablässig verändert.

Die besten kurzen Beiträge des Wettbewerbs um den Ernst-Schneider-Preis kamen in diesem Jahr von der ARD. Die Jurys lobten Magazinbeiträge über die eingeschränkte Aussagekraft von Zertifikaten bei der Textilherstellung (WDR), zum boomenden Milchexport nach China (SWR), über die Ausbildungsbereitschaft von Jugendlichen (MDR) und – einmal mehr – über wachsende Gefahren des Datenmissbrauchs („Cyberwar“, BR).

Trotz dieser guten Beispiele ist der Wirtschaftsanteil in der Gesamtschau des Programms nicht hoch. Eine Aufwertung wäre angesichts der Relevanz, die Wirtschaft für die Gesellschaft hat, angemessen. Dies gilt auch für die Wirtschaftsendung des Ersten. „Plus­minus“ steht im Schatten des Programms. Die Sendung fällt oft aus – allein elf Mal im vergangenen Jahr. Zum Vergleich: Als am Sonntag, 4. August 2013, keine „Lindenstraße“ ausgestrahlt wurde, war dies der dritte Ausfall der ARD-Soap in 28 Jahren. „Plusminus“ setzen Fußball, Ferien, Feiertage und Eventprogrammierung zu.

Zwar widmen die beteiligten Plusminus-Redaktionen erfreulicherweise den größten Teil der Sendezeit Wirtschafts­themen (Programmanalyse des IFEM-Institut in Media Perspektiven 5/2014), doch gewinnen im Vergleich zum Vorjahr alltagsnahe Verbraucherthemen und Kriminalitäts­themen an Bedeutung. In „WiSo“ (ZDF) dominieren alltagsnahe Verbraucherthemen. Klassische Wirtschaftsthemen liegen an zweiter Stelle, verlieren aber ebenfalls zugunsten von Kriminalitätsthemen an Sendezeit.

Und neue Formate? Auch die gibt es. Der „Markencheck“ des WDR war eine solche Innovation. Doch seit dem Erfolg, den die Sendung auch in der ARD feierte, scheinen die Programmverantwortlichen in Checks aller Art Einschaltquotengaranten zu sehen. Im laufenden Programm „checkt“ der „Marktcheck“ des SWR im Südwesten sogenannte Topmarken. Und ab August checkt die ARD in einer „großen Verbraucherinitiative“ (Programmdirektor Volker Herres) erst Marken (WDR), dann Recht (SWR), anschließend Lebensmittel (NDR mit Tim Mälzer), danach Haushalt (WDR) und schließlich Gesundheit (BR). Damit aber nicht genug. 2015 dürfen sich die Zuschauer auf den „Montags-Check im Ersten“ in folgenden Kategorien freuen: „Werbe-Check“ (SWR), „Reise-Check“ (SR) und – gewissermaßen ein Scheck-Check – der „Geld-Check“ in der Verantwortung von BR und HR. Durch die Klonsendungen fällt im ARD-Programm am Montagabend um 20.15 Uhr der Dokusendeplatz Natur weg. 2010 strich die ARD am gleichen Tag um 21.00 Uhr bereits den Sendeplatz für Reportagen.

Ob die Checks dem Bedürfnis der Zuschauer nach Orientierung Rechnung tragen? Es geht origineller: Den Juroren fiel beim Ernst-Schneider-Preis 2014 das WDR-Format „Gegen den Strich“ auf, das als größerer Block in der Sendung „markt“ gesendet wird. Hier überraschen die Autoren die Zuschauer mit unkonventionellen Ideen. „Massentierhaltung – ja bitte“ hieß zum Beispiel ein ebenso nachdenklicher wie unterhaltsamer Film über Tierhaltung, in dem Argumente als Rap gesungen wurden. Ebenfalls vom WDR stammt „Auf den Punkt“, ein Format aus dem Frühstücksfernsehen der ARD. In ihm erklärt der Autor in zwei Minuten Wirtschaftsbegriffe in Alltagssprache. Das Setting in einer aufgelassenen Fabrik, die unkonventionelle Erzählweise sowie die gute Grafik machen diese Folgen sehenswert. Informativ war auch „Wie geht´s Deutschland? (ZDF), eine Spurensuche mit anschließender Diskussion.

Bei Phoenix hat Wirtschaft einen hohen Stellenwert, 3sat setzt Akzente (Themenwoche „Hauptsache Konsum“, „Die Macht der Märkte“), auch n-tv berichtet kontinuierlich und zuverlässig über Wirtschaft. Große Privatsender wie RTL und Sat.1 zeigen Wirtschaft, zum Beispiel in ihren regionalen „Fensterprogrammen“, in denen nach Feststellung des Instituts für Medienforschung Göttingen und Köln die Berichterstattung an inhaltlicher Substanz gewonnen hat. RTL West war mit überzeugenden Magazinstücken zu nordrhein-westfälischen Wirtschaftsthemen im Wettbewerb vertreten. Im Abendprogramm wagte sich RTL an ein Format, das „Was verdienst du?“ heißt. In dieser Dokusoap teilen sich Mitarbeiter und Inhaber die Höhe ihrer Gehälter mit. Daraus entwickelt sich in den Unternehmen ein Prozess, bei dem über Sinn und Wert von Arbeit und Leistung gesprochen wird. RTL produziert daneben die Serie „Undercover Boss“ und macht mit dem „Team Wallraf“ viel gesehene Undercover-Reportagen. Das vor einem Jahr ausgegebene Versprechen, RTL stärker journalistisch zu positionieren, wurde mit „Nicht mit uns – die große Schnäppchenlüge“ und „Raus aus der Rentenfalle“, in dem Peter Zwegat den Zuschauern erklärt, was sie tun müssen, um im Alter nicht in die Altersarmut abzurutschen, eingelöst.

 

II Hörfunk

Die Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Radioprogramm sind zumeist hörbar. Die Sender bedienen die Bedürfnisse der Hörer nach Information und Unterhaltung. Insgesamt ist der Informationsanteil der kommerziell betriebenen Stationen deutlich niedriger. Dies geht besonders zulasten tendenziell erklärungsbedürftiger Wirtschaftsinformationen. Hier ist das Angebot dünn. So überrascht es kaum, dass – anders als im Fernsehen – sich kein privater Sender am Wettbewerb beteiligte. Dabei hätten besonders die großen Sender oder Senderverbünde wie Radio NRW, Antenne Bayern, FFH und R.SH Möglichkeiten eigene Angebote zu entwickeln. Ein Blick in Boulevardzeitungen gibt Hinweise, welche Wirtschaftsthemen leicht zu vermitteln sind.

In den Angeboten der ARD hören die Menschen Serien und Thementage, zum Beispiel am 11. September 2013 auf WDR 5 „Im Würgegriff der Banken – Fünf Jahre Finanzkrise“. Der Deutschlandfunk sendete im Juni 2014 den Themenschwerpunkt „Deutschland, deine Krankenhäuser“. Es ging um Fehlsteuerungen der Fallkostenpauschale, um Forschung, Demografie und Markt. Viele Sender produzieren großartige Feature, die ARD auch ein senderübergreifendes Radiofeature. Den Jurys gefielen unter anderem „Pacmans Enkel – Boombranche Computerspiele“ vom WDR und „Pieta Piëch“, ein kunstvolles „Dokumentarpassionsspiel“ des SWR. Die Probleme der vernachlässigten deutschen Verkehrsinfrastruktur bringt „Leverkusen ist überall“ exemplarisch auf den Punkt (DLF). „Schiefer, Sand und Supermärkte“ beschreibt wie neue Öl- und Gasquellen die Weltordnung verändern (BR).

Im Radio, so die Ansicht vieler Beobachter, gibt es Sendeflächen für ungewöhnliche Themen, was aber auch bedeutet, dass die Redaktionen – unbelastet vom Quotendruck des Fernsehens – sich trauen außergewöhnliche Themen aufzugreifen. Beispiele hierfür sind „Grüner Profit – die Biobranche zwischen Alternativrollen und Dumping­kapita­lis­mus“ (WDR), „Shoppen in China – Afrikanische Händler in Guangzhou“ (NDR) und „Handelseinig – DDR-Zwangsarbeit und die Verantwortung westdeutscher Firmen“ (BR). Dass dabei auch mit Erzählformen experimentiert wird, bewies „Gute Tante Arbeitsamt – Vom Leben einer Institution“ (NDR).

 

III. Print

Die Stärke der Zeitungen liegt darin, zwischen der ersten und der letzten Seite eine Zusammenfassung des Geschehens zu geben und Einordnung zu bieten; außerdem erfüllen Zeitungen die Bedürfnisse der Leser nach Überraschung. Im Vergleich der Medien sehen Chefredakteure und Ressortleiter bei Zeitungen und Zeitschriften in einer Befragung des Ernst-Schneider-Preis vom Mai 2014 unvermindert viel Potenzial. „Hintergrundberichterstattung“ und „Wirtschaftspolitik“ finden sie in Printtiteln am besten verortet. Noch mehr Journalisten als im Vorjahr (62 Prozent) erwarteten die Lokalberichterstattung vor allem in den Printmedien. Insgesamt halten die befragten Journalisten die Wirtschaftsberichterstattung in Deutschland überwiegend für gut – und denken dabei besonders an die Presse. Hier hat Wirtschaft ihr Nischendasein verlassen. Allerdings sagen drei von vier der Befragten, dass Journalisten noch zu wenig tun, um Wirtschaftsthemen ansprechend zu vermitteln.

Auf die Autoren der nachfolgenden Artikel trifft dies nicht zu. Ihre Beiträge ragen unter mehreren hundert Einreichungen zur Kategorie Print im diesjährigen Wettbewerb heraus, weil vieles zusammenkommt: Ungewöhnliche Erzählideen, neue Blickwinkel auf eine Thematik, besondere Recherchetiefe, Lesbarkeit auf mehreren Ebenen und eine Einbindung der Geschichte in größere Bezüge. Die Jurys lobten zum Beispiel „Schluss. Aus. Feierabend.“, einen Beitrag über den Sinn der Arbeit (KulturSPIEGEL) und „Warum muss Joy hungern?“, ein Zeit-Dossier über Zusammenhänge zwischen Weltmaisproduktion und Nahrungsmittelmangel. Bemerkenswert waren auch die Einblicke in die komplexen Abläufe der Deutschen Bahn in „Heute vom Gleis gegenüber“ und „Gnadenlos.com“, eine in große Zusammenhänge gestellte Amazon-Geschichte, die den radikalen Wandel des Handels analysiert (beide Spiegel). Die beste Serie zur vernachlässigten Verkehrsinfrastruktur erschien in der Welt am Sonntag und heißt „Die gebremste Republik“, die pointierteste Geschichte zur Energiewende druckte das Handelsblatt („Der Irrsinn der Energiewende“).

Spannend und verständlich wird Wirtschaft, wenn Autoren das Entstehen eines einzelnen Produktes schildern. Dies kann auch ein Film sein. In „Aufnahme läuft!“ (Zeit) verfolgen Leser, wie der Wettlauf zwischen dem Produzenten des teuersten deutschen Films und der globalen Videopiraterie, die die Refinanzierung gefährdet, verläuft. Ein Steak und ein „Golf“ sind die beiden Produkte, die Capital-Reporter auf dem Weg nach Europa beziehungsweise in die USA verfolgen – ein ebenso überraschender wie großartiger Blickwinkel zur Erläuterung des diskutierten Freihandelsabkommens. Wie global der Gesundheitsmarkt ist, schildert „Der libysche Patient“ (Welt am Sonntag); was die veränderten Arbeitszeiten für Folgen haben, las man in dem bewegenden Portrait einer Kita, die nicht schließt: „Vierzig Stunden in der Kita“ (F.A.Z.).

Die regionalen Tageszeitungen entwickeln zum Teil bemerkenswerte Serienideen, an denen sowohl die Konzepte als auch die einzelnen Themen überzeugen. Die Berliner Morgenpost titelte „Gründer Zeit“ und machte eine Serie zu Start-ups in der Hauptstadt; nicht weniger überzeugend die Folgen von „Gründer im Land Baden-Württemberg“ (Stuttgarter Zeitung). Originell erschien den Juroren die zehnteilige Serie „Patente – Münstersche Erfindungen – und was sie ihren Ideengebern brachten“ aus der Münsterschen Zeitung. Dass auch Regionalzeitungen globale Geschichten erzählen können, beweist das Hamburger Abendblatt mit der Serie „Hamburgs neue Gastarbeiter“. Mit dem aktuellen Thema der Zuwanderung greifen die Autoren ein zentrales Problem der Gesellschaft auf und binden Leser. Dies nennt der Zeitungsforscher Andreas Vogel in der kürzlich erschienenen Studie „Talfahrt der Tagespresse“ eine Voraussetzung für die Gesundung der Zeitungen: Zeitungsredaktionen müssen als „Kompetenzzentren der öffentlichen Kommunikation im Regionalen wahrgenommen werden“.

 

IV Internet

Den möglicherweise entscheidenden Geburtsfehler des Internet nennt der Computerwissenschaftler und Internetvisionär Jaron Lanier die One way-Verlinkung. Sie sei für die Kostenloskultur im Netz verantwortlich. Laniers These: Gäbe es Two-Way-Links, könnte also der Urheber sehen, was mit den Informationen geschieht, müssten Datensammler wie Google etwas bezahlen. Dass etwas falsch läuft in der Informationsökonomie, spüren zahlreiche Branchen, nicht zuletzt die etablierten Anbieter von Nachrichten. Zeitungsverlage, die ihre digitalen Ausgaben kostenlos ins Netz gestellt haben, führen nach und nach Bezahlmodelle ihrer elektronischen Ausgaben ein; in diesem Jahr werden es bereits hundert sein. Die großen Nachrichtenportale bleiben hingegen zumeist beim freien Zugang und setzen auf Reichweite und entsprechende Werbeerlöse. Auf eine neue Erlösquelle zielen Journalisten wie Krautreporter, die über crowdfunding Finanziers suchen.

Seiten mit guten Wirtschaftsinformationen bieten im Internet neben den etablierten Verlagen zahlreiche Ökonomie- und Meinungsblogs sowie die Websites der öffentlich-rechtlichen Sender, des Deutschlandfunks und der Deutschen Welle. Aus diesem Kreis setzen sich die Einreicher zusammen, die sich am Wettbewerb um den Ernst-Schneider-Preis mit interessanten Wirtschaftsgeschichten beworben haben. Thematisch geht es um den Strukturwandel in Deutschland „Stadt – Land – Mensch“, (DW.de), den Volksentscheid zum Berliner Tempelhofer Feld (Tagesspiegel) und „Transition towns“, (faz.de), um Spekulationsblasen (Zeitonline / explanity), den deutschen Mittelstand (n-tv und Welt online) und Enthüllungen „Finanzvertriebe packen aus“ (Handelsblatt). Zeit online testete das „crowd sourcing“ und bat seine Leser mitzuteilen, wie hoch ihre Dispozinsen sind. Aus den Antworten entwickelte die Redaktion eine Deutschlandkarte der Bankgebühren. Das Vorhaben zielt auf Leserbindung und auf Partizipation, beides entscheidende Faktoren im Onlinegeschäft. In die Geschichten eingebunden sind oft Bilder, Videos, weiterführende Links und Grafiken in unterschiedlicher Qualität. Manches ist großartig gestaltet wie eine Adidas/Puma-Geschichte in „Begleiter“ (SZ), anderes eher werkstattmäßig wie der über Google Hangouts geführte „WiWo Lunchtalk“ der Wirtschaftswoche. Schnelle Kommentare und Feedbacks der Leser spielen im Netz eine große Rolle.