Das ganze Bild zeigen

Stellungnahme zur Entwicklung der Wirtschaftsberichterstattung 2015

Die Griechenlandkrise zeigt ein Problem der Wirtschaftsberichterstattung. Die Menschen bekamen über alle Medien so viele Informationen wie noch nie, aber was in Griechenland wirklich geschah, verstanden sie meist nicht. Es war, als hätte man ein riesiges Puzzle über Deutschland ausgeschüttet. Doch wenn man die einzelnen Teile ineinander legte, fehlten entscheidende Stücke und zahlreiche wiederholten sich. Ein Bild war nicht erkennbar. Das kann daran liegen, dass Journalisten naheliegende Fragen nicht stellten. Zum Beispiel die Fragen woher die Schulden rührten und warum die Griechen ihren Staat nicht reformieren. Journalisten befassten sich kaum mit der Geschichte Griechenlands, ergründeten selten die Einstellung der Menschen zum Staat und fragten nicht nach ihrer Haltung zur Wirtschafts­ordnung. Sie unterschätzten den Einfluss von mentalen Barrieren, orthodoxer Kirche und Kommunistischer Partei. Stattdessen berichteten sie ausführlich von Sparvorgaben der EU („Brüssel verlangt Rentenkürzungen“), hielten leicht auffindbare, populäre Teile des Puzzles hoch und deckten damit nur einen Teil der Realität auf.

Die Berichte über das Freihandelsabkommen TTIP zeigten ein ähnliches Bild: Chlorhühnchen und Beiträge über Proteste gegen das Freihandelsabkommen überlagerten regelmäßig eine umfassende Information. Dies deutet auf ein generelles Problem bei komplexen Wirtschafts­themen hin. Es scheint, als wachse die Differenz zwischen den Nachrichten, die die Menschen mitbekommen, und den Nachrichten, die die Menschen verstehen (Gäbler, Anspruch und Wirklichkeit der Politikmagazine, Juni 2015).

Viele Wirtschaftsjournalisten sind mit der Bericht­erstattung nicht zufrieden. In einer aktuellen Umfrage des Ernst-Schneider-Preis sagen fast zwei Drittel der 179 Befragten, dass Journalisten generell die Bedeutung von Wirtschaft für die gesellschaftliche Entwicklung unterschätzen. Zum anderen verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen in den Redaktionen und es fehle an Sendeflächen – gerade im Fernsehen und im Hörfunk. Die Befragten beklagen eine ausufernde Verbraucherberichter­stattung, eine Tendenz zur Vereinfachung und Skandalisie­rung sowie ein Denken in Schubladen. Zu oft ersetze die Personalisierung die Sachrecherche mit der Folge, dass Einzel­schicksale übergewichtet werden. Zudem werde auf Innovationen, Erfolge und den Mittelstand zu wenig eingegangen.

Die Stellungnahme der Industrie- und Handelskammern will einen Anstoß zur Entwicklung der Wirtschaftsbericht­erstattung geben. Sie stützt sich auf Studien, Medienbeobachtung und die Auswertung von über tausend Wirtschaftsbeiträgen, die zum Ernst-Schneider-Preis 2015 eingereicht wurden. Die IHKs stiften den Preis seit 44 Jahren. Ihr Ziel ist, dass die Menschen über Hintergründe und Zusammenhänge der Wirtschaft verständlich informiert werden.

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