Medienbrief 2/15

Neues Nachrichtenformat „heute+“

H+Das ZDF testet auf Facebook und Twitter ein neues Nachrichtenformat mit Namen „heute+“. Zu aktuellen Themen gibt es kurze Videos, Fakten und Grafiken. Musik und Sounds unterstützen die visuelle Gestaltung. Die Redaktion betrachtet die Seite als Angebot. Sie will mit Meinung aus dem Netz das Format weiterentwickeln.


Springer startet Politico.eu

In einem Newsroom mit vierzig Journalisten produziert Springer in einem Gemeinschaftsunternehmen mit der Politik-Plattform Politico in Brüssel seit kurzem „Politico.eu“. Zielgruppe sind Politik, Berater, Lobbyisten und Unternehmen. Neben einer Webseite, die werbevermarktet wird, gibt es einen Newsletter, der am frühen Morgen die Agenda für den Tag in Brüssel nennt. Im Sommer soll ein Abo mit Informationen zu regulatorischen und politischen Diskussionen in Europa starten. Die Preise für die verschiedenen Newsletter beginnen in den USA je nach Organisationsform des Kunden mit 6.000 Dollar. Eine wöchentliche Printausgabe soll das Angebot ergänzen. Die Startauflage beträgt 30.000 Exemplare. Das Jahresabo kostet 199 Euro, wichtige Entscheider bekommen das Heft umsonst.


Frust über die Wirtschaftsberichterstattung

Wie tickt Deutschlands Wirtschaftselite? Das Göttinger Institut für Demokratieforschung kann nach Interviews mit 160 Managern, Geschäftsführer und Unternehmern die Frage beantworten. Eine wichtige Erkenntnis: Alte Feindbilder existieren nicht mehr. Das gilt für Gewerkschaften wie für die SPD. Im Gegenteil: Als Vorbild gilt der bislang letzte sozialdemokratische Bundeskanzler, Gerhard Schröder, wegen seiner als mutig empfundenen Umsetzung der Agenda 2010. Politisch vermissen die meisten die Beschäftigung mit Zukunftsfragen wie dem demografischen Wandel. Sie kritisieren verbreiteten Neid in der Gesellschaft und ihre als permanent erachtete öffentliche Beobachtung. Das Verhältnis zu den Medien ist belastet. Die meisten Unternehmer kritisieren die Berichterstattung als nicht immer sachkundig, zudem als „skandalisierend“ und „pauschalisierend“. Viele scheinen den Glauben an Qualitätsjournalismus verloren zu haben. Die Studie wurde vom Mineralölkonzern BP in Auftrag gegeben.


WDR #3sechzich
WDR #3sechzich: Neue Newsformate im Netz
Öffentlich-rechtliche Nachrichten für junge Leute produ­ziert neben dem ZDF jetzt auch der Westdeutsche Rundfunk. Der WDR nutzt dazu den YouTube-Kanal #3sechzich. Der Name soll den Blickwinkel auf die Welt verdeutlichen – 360 Grad. Das Format funktioniert auch auf Facebook und Twitter. Es will die Themen des Tages mit „Meinungsfreude, Empathie und Haltung“ vermitteln. Die Videos widmen sich auch Themen aus der Wirtschaft wie Datenschutz, Jugendarbeitslosigkeit und Finanzen.


Zeitschriftenmarkt immer vielfältiger

Zeitschriften PixabayIm Jahr 2014 stieg der Umsatz der hiesigen Zeitschriftenverlage um 1,7 Prozent auf 15,1 Milliarden Euro. Die Unternehmen beschäftigen mehr als 60.000 Mitarbeiter und erwarten 2015 ein leichtes Umsatzplus. Die Verlage brachten im vergangenen Jahr 133 gedruckte Zeitschriften neu heraus. Für Anzeigen und Vertrieb prognostizieren die Befragten einen Umsatzrückgang von 2,4 Prozent und 1,9 Prozent. Die digitalen Erlöse sollen aber um zehn Prozent  steigen.


Überregionale Zeitungen verlieren

Kleine Auflagengewinne registrierten im ersten Quartal 2015 Spiegel und Focus, die ihren Erscheinungstermin auf den Samstag gelegt haben. Besser schnitt der Stern ab (plus 6,5 Prozent). Nach den neuen Zahlen der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) verzeichneten die überregionalen Tageszeitungen deutliche Einbußen. Bild verlor neun Prozent verkaufte Auflage, die Süddeutsche Zeitung sechs, die FAZ zwölf und die Welt sechs Prozent. Gleichzeitig stiegen die Online-Reichweiten. Bei der Wirtschaftspresse sehen die Zahlen besser aus: Capital, Brand eins, Manager Magazin und Enorm verkauften im Vergleich zum Vorjahresquartal zwischen einem und fünf Prozent mehr Zeitschriften.
Rach coacht Restaurantgründer

RachAb dem 26. Mai zeigt das ZDF eine neue Gründershow mit dem Sternekoch Christian Rach. Die Sendung heißt „Rach und die Restaurantgründer“, vier Folgen sind geplant. Ein ähnliches Format von Kabel eins wollten wenige Zuschauer sehen. Es hieß „Restaurant Startup“ und wurde nach zwei Folgen aus der Primetime genommen. Rach gewann mit der Sendung „Die Restaurantschule“ und einer Ausgabe des „Restauranttesters“ 2009 und 2011 den Ernst-Schneider-Preis für Wirtschaft in der Unterhaltung.


„Zeit Online“ mit schwarzen Zahlen

Die Zeit konnte im vergangenen Jahr in der Verlagsgruppe ihren Umsatz um acht Prozent auf 180 Millionen Euro steigern. Auf das Kerngeschäft entfielen 120 Millionen Euro. Die Wochenzeitung wuchs dabei um ein Prozent, die Magazinfamilie um vier Prozent. Zufrieden ist man mit den digitalen Umsätzen, die ein Plus von 29 Prozent aufweisen. „35.000 Leser haben ein Digital-Abo. Zeit Online“ konnte zum Ende des Jahres die roten Zahlen hinter sich lassen und erreichte den Break-Even.


Zu Gast bei Merkur

Beim „Merkur-Treff“ der Handelskammer Kiel, der traditionellen Begegnung zwischen Journalisten und Unternehmern, wird es in diesem Jahr auch um das Bild gehen, das Journalisten von Wirtschaft haben. Eine Untersuchung des Rheingold Instituts, vom Ernst-Schneider-Preis initiiert, bietet den inhaltlichen Rahmen.


Rasterfahndung per Handy

Rasterfahndung Handy Pixabay
Die Nachrichtenredaktion des in Köln ansässigen Deutschlandfunk ist seit diesem Jahr Partner der „Initiative Nachrichtenaufklärung“. Dieser Zusammenschluss von Medienwissenschaftlern und Journalisten will die Öffentlichkeit auf Themen aufmerksam machen möchte, die von den deutschen Medien tendenziell vernachlässigt werden. Die Initiative verfasst dazu ein Ranking. Zu den Top Ten zählen nach Ansicht der Initiative Verkaufte Links, Undurchsichtige Finanzen politischer Stiftungen, Datensammlungen privater Firmen oder Rasterfahndung per Handy.

 

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Bedrohliche Bilder von Wirtschaft

Dschungel

Irgendwie hat man es geahnt. Die Deutschen hadern mit der Ökonomie, sie neigen zu Skepsis und haben eigenwillige Vorstellungen vom Funktionieren der Wirtschaft. Aber dass auch Journalisten ein Bild von Wirtschaft in ihren Köpfen tragen, das Fehlfarben aufweist, ist neu. Der Befund hat Folgen, weil Journalisten Meinungen prägen, und er überrascht. Bekennt sich der Berufsstand nicht immer zu Objektivität und Neutralität? Wollen wir nicht dem Ganzen gegenüber interessiert sein, uns nicht vereinnahmen lassen und der Wahrheit auf die Spur kommen?

Psychologen des Rheingold Instituts haben das journalistische Berufsethos hinterfragt und in tiefenpsychologischen Gesprächen das Bild entschlüsselt, das sich Journalisten von Wirtschaft machen. Der Befund lässt aufhorchen: Bei Wirtschaftsthemen verändern Journalisten ihre Einstellung. Sie ergreifen Partei und stellen sich tendenziell auf die Seite derer, die sie als schutzbedürftig empfinden. Journalisten sehen dafür einen gesellschaftlichen Auftrag. Sie sind Korrektiv und Gegengewicht und färben die Sicht auf die Wirtschaft.

Interessant ist auch was Journalisten unter Wirtschaft verstehen. In der Vorstellung der meisten Autoren scheint es zwei unabhängig voneinander existierende Wirtschaftswelten zu geben, eine kleine und eine große. Zu der „kleinen“ Wirtschaft gehören die täglichen Einkäufe, die Familienkasse, die Reparatur eines Handwerkers. Diese Welt ist intakt und überschaubar – aber journalistisch belanglos. Daneben existiert die Idee einer „großen“ Wirtschaft und sie ist anstrengend, verlangt einerseits Kompetenz, verspricht andererseits aber auch Macht und Einfluss. Die „große“ Wirtschaft trägt die Logos von Deutscher Bank, Amazon, Nestlé, Shell und Google. Diese Wirtschaft ist global und verwoben. Journalisten erleben sie als bedrohlich. In ihren Köpfen erscheinen die Vorstellung eines Dschungels, in dem dunkle Mächte herrschen und einer trockenen Wüste mit lebloser Materie. Diese Welt ist meist kalt, sie besteht aus Zahlen, ist abstrakt und kaum durchschaubar. Wer in diesem Umfeld berichtet, muss etwas Großes und Komplexes, einen Dschungel oder eine Wüste, begreifen und etwas Undifferenziertes und Nüchternes beleben. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, bei der die Autoren immer ein Scheitern riskieren. Angesichts der erdrückenden Komplexität der Themen erleben sich Journalisten als klein und ohnmächtig. Kein gutes Gefühl für Berichterstatter. Sie suchen Beispiele, um den als übermächtig erlebten Wirtschaftsbetrieb zu verkleinern und zu entmachten.

Die Studie, die der Journalistenpreis der deutschen Wirtschaft, der Ernst-Schneider-Preis, in Auftrag gegeben hat, zeigt, dass Journalisten, die über Wirtschaftsthemen berichten, eine Haltung haben. Sie wollen „mitspielen“, erklären oder korrigieren. Das Rheingold-Institut erkannte sechs typische Formen des Selbstverständnisses. Es gibt Hofberichterstatter (die die Nähe von Entscheidungsträgern suchen), Dramaturgen (die Themen spannend wie einen Krimi machen) und Lotsen (die Bürgern Serviceangebote unterbreiten). Journalisten können Weltverbesserer sein (die auf der Suche nach einer besseren Welt soziale Verwerfungen abschaffen möchten), Robin Hoods (die als Anwalt des kleinen Mannes für Benachteiligte kämpfen) oder Aufrührer (die die Verhältnisse mit Macht ändern wollen und Demontage betreiben).

Wie entstehen solche Perspektiven auf die Wirtschaft? Die Psychologen sagen, sie haben mit einer tiefsitzenden Skepsis, mit der „German Angst“ zu tun. Viele Deutsche verstehen die globale Wirtschaft nicht. Und vielen Journalisten fehlen nach Einschätzung der Befragten selbst Kenntnisse von wirtschaftlichen Zusammenhängen. Die Deutschen sehen ein einkommensmäßiges Auseinanderdriften von oben und unten, erleben Währungskrisen und kapitulieren vor Finanzprodukten. Ihr Vertrauen in die Wirtschaft schwindet. Sie suchen Schuldige. Tief im Inneren glauben sie, dass Gier ihnen schadet. Und Gier verknüpfen sie mit Wirtschaft. Daher eignen sich, so die Psychologen, nicht nur Banker, sondern das Thema Wirtschaft insgesamt als neues, gesellschaftlich akzeptiertes Feindbild.

Das ist, man ahnt es, zu kurz gesprungen. Wirtschaft ist für den Zusammenhalt und die Entwicklung der Gesellschaft von besonderer Bedeutung, ihr Funktionieren entscheidet über unsere Lebensperspektiven. Und die Wirtschaft verändert sich, sie ist in Bewegung, gerade jetzt, in Zeiten digitaler Umbrüche – das macht die Berichterstattung so wichtig und so spannend. Was für eine großartige Aufgabe für Journalisten – wenn sie aufklären, hinterfragen und ihren Beruf ernst nehmen.

Die 2013 verfasste Studie “Das Bild der Wirtschaft aus der Perspektive der Journalisten” können sie hier herunterladen (PowerPoint Vortrag als PDF).